//die monatliche Kolumne im Netz und nur auf diesen Seiten//

 

 

Der Mai 2008
Johnny Cash: "Hurt"

Während die meisten Menschen den Samstag dazu nutzen, sich zu erholen oder Spaß zu haben, treffe ich mich mit ein paar Gleichgesinnten zum Kopfschütteln und Weinen. Dieses Ritual ist weder erholsam noch spaßig, sondern zielt eigentlich nur darauf ab, sich das Wochenende zu versauen.
Um Mißverständnissen vorzubeugen: Wir machen das freiwillig, wir machen das mit einem Höchstmaß an Leidenschaft und wir machen das in vollem Bewußtsein, daß das, was wir da machen, einfach nur scheiße ist.
Unser kleiner, sadomasochistischer Zirkel besteht aus den beiden, durchaus zu komischen Spielchen neigenden Gesellschaftern bürgerlichen Rechts vom Salon Alter Hammer, einem schläfrig wirkenden Voyeur vom Typ "Großvater" zuzüglich diverser, ich darf sagen: ganz entzückender Hausbewohner, die gelegentlich auftauchen und einen Tannenbaum aufstellen oder Rotwein über ihre Tastatur kippen.
Woche für Woche versammeln wir uns mit etwas Mineralwasser, dem ein oder anderen Keks und den Resten aus unseren Tabakbeuteln. Wir verlangen nicht viel vom Leben, das Leben verlangt nicht viel von uns, und es ist gut so. Bis es halb vier wird. Dann setzen wir uns vor den Fernseher und schauen unserem Fußball-Club beim Verlieren zu.
Wenn die Idee nicht zu neu wäre, könnte man glatt einen Spielfilm darüber drehen. Über die ewig gleichen Chronologien unserer Samstage, über Zeitlöcher und Wiederholungen, über Desillusionierung und Verbitterung, über Hoffnungslosigkeit und dem langsamen Sterben, aber auch über Ängste und unerfüllte Träume.
Unser Murmeltiertag sieht in etwa so aus: Nachdem das Spiel angepfiffen wurde, dauert es in der Regel keine halbe Minute, bis sich Max an die Birne faßt und "das kann doch nicht wahr sein!" schreit. Diesen Satz, der einer präzisen Inhaltsangabe erstaunlich nahe kommt, wird er in den nächsten fünf Minuten noch etliche male mit aufrichtiger Fassungslosigkeit auskotzen, sich dabei mehrmals die Knie aufschlagen und irgendwann dazwischen damit anfangen, ein Zeug zu trinken, das er nüchtern niemals trinken würde: Wodka.
Wie gerne würde Sabine den armen Tropf trösten, aber was soll die gute Frau machen, wenn sie selber einen Hals hat? Man kann ihn zwar unter dem muckeligen, blau-weißen Schal nur schwer erkennen, aber er ist da und wird immer dicker. Es ist 30 Grad im Dachgeschoß und Sabine sitzt mit ihrem Hals und zwei Idioten vor dem Fernseher. Auf der Mattscheibe schlagen justament drei Recken beim Versuch den Ball zu treffen Luftlöcher in der Größe eines Hellmich-Neubaus, bis die Kugel dem vierten Recken an den Hinterkopf prallt und von da aus unserem sogenannten "Verteidiger" ins Gehänge fliegt. Der Mann kippt um. Es hat sich offensichtlich ausverteidigt. Fünf Spieler der anderen Mannschaft stehen frei daneben und versuchen dabei ernst zu bleiben. Einer von ihnen pustet den Ball ins Tor. Murmeltiertag.
Sabine, die in den letzten acht Monaten ihres Lebens geschätzte zweieinhalbtausend Minuten Zeit hatte, sich an derartige Humoresken zu gewöhnen, schielt zur Wodkaflasche. Ihr rauschmittelfreier Nachmittag ist einer gewissen Unzufriedenheit gewichen. Sie sagt "so eine Scheiße", weil sie eine Dame ist, denn die anderen Sachen, die ihre Blicke sagen, kann man gar nicht schreiben.
Die Katze Bernd kommt herein, schaut kurz auf den Bildschirm und schüttelt den Kopf.
Unsere Luftwaffe grätscht gerade eine Eckfahne um.
Die Stimmung vor dem Fernsehapparat eskaliert.
"So eine Scheiße! So eine Scheiße! So eine Scheiße!"
Der einzige, der relativ gefühlskalt, da inzwischen abgestorben, der erbärmlichen Zirkusnummer die Stirn bietet, bin ich. Vielleicht, weil wir nur eine begrenzte Zeit auf diesem Planeten verbringen und es mir wichtiger ist, daß wir die Erde unseren Kindern so übergeben, wie wir sie einst vorgefunden haben, mit Ausnahme Tibets natürlich, weil ich mir eine verantwortungsbewußte, menschenfreundliche Klimapolitik wünsche und diese Kolumne auch dazu nutzen möchte, eine Debatte abseits der Parlamente anzuregen, weil Rohstoffe einen immer größer werdenden Stellenwert in dem Verhältnis der ersten zur dritten Welt einnehmen und weil die Exportmacht China natürlich Auswirkungen auf die einheimische Wirtschaft hat, wahrscheinlich aber eher aus dem Grund, weil ich als einziger im Raum überhaupt eine nennenswerte Stirn besitze.
Als Mann des Friedens versuche ich, dem Gekicke der eigenen Mannschaft positive Aspekte abzugewinnen und sage "schön", wenn ein Paß über vier Meter den eigenen Mitspieler erreicht, also ungefähr einmal pro Spiel. Wesentlich häufiger sage ich allerdings "so eine Scheiße" oder "das kann doch nicht wahr sein", weil auch Frieden seine Grenzen hat. Und zwar die des eigenen Sechzehnmeterraums.
Und so kam es, wie es kommen mußte. Mitte Mai ist unser Club abgestiegen.
Okay, das wird unser Leben völlig verändern. Wahrscheinlich zum Guten. Oder glauben Sie im Ernst, wir würden uns mit zweitklassigen Wochenenden zufrieden geben?



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Der April 2008
Stiff Little Fingers: "Doesn´t Make It All Right"

Sie mögen in meinem Gesicht nur das schöne Wetter sehen, aber es gibt einen Grund dafür, warum ich einen Hamburger am liebsten mit Messer und Gabel esse. Ich habe nämlich ein Problem mit Ketchup. Zumindest mit Ketchup auf meiner Jacke. Wo es den Ketchup zwangsläufig hinzieht, sobald ich in einen Hamburger beiße und wo er definitiv nicht hingehört. Passiert einem das jede Woche, kann es gut sein, daß man nicht nur älter, sondern auch weiser wird, zum Beispiel in Reinigungsfragen. Um den Ketchup wieder von der Jacke zu entfernen, muß man ihn nur mit zwei Mundvoll Bier übergießen, den so gewonnenen Tomaten-Hefe-Sud mit einem seitlich angekauten Snickers sanft verreiben, ein paar Stunden abseits der Menschheit warten, bis man die angetrocknete Masse mit einer 36er Nuss wieder abrubbeln kann.
In Momenten wie diesen frage ich mich oft, ob das alles so richtig ist mit dieser Ernährung. Sicher, man kann auf manches verzichten, aber trage ich keine Jacke, tropft es auf die Hose und trage ich ein Hemd, tropft es auf das T-Shirt, was also soll ich tun, Meister?
Mir einen Döner kaufen?
Bist du sicher?
Meister, weißt Du eigentlich, wieviele Döner und Hot Dogs, und wissen Sie, verehrter Leser überhaupt, wieviele Gyros Pitas und Türkische Pizzen und haben Sie, meine Dame, irgendeinen leisen Schnall davon, wieviele Eistüten und Subs des Tages? Mir! Schon! Auf! Kleidung! Aller! Art! Getropft! Sind?
Ich schon. Und ich habe keine Ahnung, wie man einen Döner essen kann, ohne sich oder seine Klamotten mit "Joghurt scharf machen" zu besprenkeln. Ich frage mich auch, ob es Foodfachleuten jemals gelungen ist, in der Disziplin "Lahmacun" die am unteren Ende auslaufende Suppe am Auslaufen zu hindern. Das gleiche gilt für Walnuß / Mandel. Völlig unvorstellbar, daß ein ausgewachsener Mann die eine Kugel Eis im Hörnchen schneller aufschlecken kann als die anderen beiden Kugeln tröpfenweise zu Boden drippeln. Wo wir grad dabei sind: Es ist mir ein Rätsel, wie man verlustfrei ein Gyrosbrötchen essen soll. Mit jedem Biß in das schmackhafte Ensemble wirft man zwei, drei Bissen raus, das ist Physik (Verdrängungsprinzip). Da stellt sich doch die Frage, warum beim Backfisch das Stück mit der Remoulade immer abbricht und gegen die Kniescheibe klatscht, und das Stück mit den Gräten im Mund landet. Merkwürdig, daß Finger-Food offensichtlich gar nicht für Finger konzepiert ist.
Geradezu logisch erscheint mir da die Tatsache, daß man selbst nach dem Verzehr eines scheinbar ungefährlichen Lebensmittels wie die herkömmliche Bratwurst plötzlich Senf am Schuh hat.
Wer, wie ich, viel durch Wald und Flur marschiert und auf minderwertiges Essen angewiesen ist, trägt nach einer langen Tagesreise Spuren davon. Weiße, gelbe, rote und manchmal auch transparente Flecken legen Zeugnis ab von Pommesbuden und riechen nach Thomy, Heinz und Ali, und werden manchmal auch direkt auf die Haut aufgetragen. Betroffen sind immer die Finger, meist auch Mundwinkel, Oberlippe und Nasenspitze. Es macht also durchaus Sinn, zuhause zu essen.
Anfang April allerdings hatte ich ein kulinarisches Erlebnis, das der Mannschaft vielleicht neue Impulse geben könnte, ohne gleich den Trainer rauszuschmeißen. Ich kehrte in Mülheim-Speldorf in eine mir bislang unbekannte Döneria ein und bestellte -halten Sie sich fest!- eine "Falafeltasche bitte". Während ich mich noch über den günstigen Preis wunderte, begab sich der tüchtige Koch sofort an die Arbeit. Daß im Fernseher an der Decke N24 lief, wertete ich als gesunde Basis für unsere zukünftige Zusammenarbeit, ebenso wie die Tatsache, daß ich der einzige Kunde war. Ich ließ den Mann in Ruhe zaubern und schaute mir währenddessen ein Magazin für Fernfahrer an, bis mich das Essen mit den Worten "ey Chef, is fertig" rief. Ich gab dem Brutzler die ein Euro fünfzig und bekam dafür einen halben Fladen warmes Brot, welches zwischen den beiden knusprig gegrillten Kontinenten in Mittelerde durchgeschnitten war. Es duftete köstlich, und nachdem ich mit zwei Fingern vorsichtig das halb geöffnete Brot teilte, sah ich auch die winzig kleinen drei Falafelchen, die friedlich im Mutterbrot lagen und schliefen. Abgesehen davon, daß mein Snack sehr putzig aussah, sah ich nichts. Keine Soße, kein Gemüse, keine Petersilie. Drei Falafel im Brot, fertig. So einfach ist das manchmal.
"Meinen Sie das Ernst?" fragte ich den guten Mann, aber nur in Gedanken, denn sonntags war ich nicht auf Krawall gebürstet. Im übrigen war die Falafeltasche gar nicht mal so übel. Falafeltasche ohne Schnickschnack, ohne Glamour, 100% Hardcore, echte Gefühle - eben Falafeltasche pur. Und was noch wichtiger ist: Ich hab mich diesmal nicht bekleckert.

 

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