//die monatliche Kolumne im Netz und nur auf diesen Seiten//

 

Der September 2008
Vicky Leandros: "Ich bin"

Mit zunehmendem Alter steigen auch die Ansprüche. Meist weniger an einen selbst, als vielmehr an andere Personen, chinesischem Essen und khakifarbenen Outdoor-Jacken. Die Liste der Dinge, die man als "uneingeschränkt empfehlenswert" bezeichnen kann, schrumpft im Laufe einer durchschnittlichen, zwanzigjährigen Midlife-Krise von fünfzehntausendvierhundertzweiundsiebzig auf fünf, was ein vager Indikator dafür ist, daß Spaß dem gesunden Realismus weicht. Von den fünf uneingeschränkt empfehlenswerten Dingen sind mir persönlich leider nur vier bekannt, nämlich "Zig Zag Wanderer" von Captain Beefheart, Zahnarzt Dr. Wiskandt, dann dieses Foto, das so´n Fritze mal von Angela Merkel geschossen hat und natürlich die Fernsehzeitung "TV neu".
Zwar präsentieren die Titelbilder dieses wöchentlich erscheinenden Magazins die handelsüblichen, grinsenden Damen, allerdings wurde bei der Auswahl der am Hals endenden Portraits streng darauf geachtet, daß diese sich gar nicht erst verkaufsfördernd auswirken können. Es scheint, als wolle das Heft ausschließlich mit seinem redaktionellen Inhalt punkten, als wolle es weg von den chauvinistischen Tittenfrauen, was zweifelsohne auch gelingt. Mit einem Layout wie Frischkäse, einem Info-Mix wie Bauernsülze und einem Unterhaltungswert wie ein volles Glas Kakao senft sich das Blatt durch seine stolzen sechzig Seiten, von denen die meisten eng beschrieben sind. Es gibt Ratgeber zu den Themen Reise, Gesundheit, Freizeit, Seele und Geld, mit denen man in hundert Jahren gut und reich dastehen kann, womöglich auf einer Finca in Brüssel. Dem Fan von Kopfschmerzen bietet sich kniffeliges Sudoku ("der japanische Rätsel-Spaß"), es gibt ein unkonventionelles Horoskop ("Der günstige Einfluß von Venus und Pluto fördert Ihr Glück, das diesmal für immer halten könnte") und für Konsumenten von Lebensmitteln die Sonderangebote der Woche ("Jersey-Spannbetttücher, 100% Baumwolle"), ferner eine kleine Rubrik mit Witzen ("Seit Hubert nicht mehr raucht, ist aus ihm ein fanatischer Schnorchler geworden"), alles in allem wirklich ganz entzückend. Einmal im Leserausch vergißt man fast, daß es sich bei "TV neu" um eine Fernsehzeitung handelt. Eine Herausforderung übrigens, die das Blatt bravourös zu meistern versteht. Dem Dickicht an Kanälen, Sendungen und Uhrzeiten begegnet man mit einer entwaffenden Offenheit. So werden dem Leser präzise Angaben mit auf den Sessel gegeben (0.40 Uhr: Liebe, Sex und Seitensprünge, Komödie, Brasilien 2004 mit Malu Mader), und zwar nach dem erfrischenden "Nicht mehr als nötig"-Prinzip. Amerikanische Action-Filme, VIP-Schrott und sonstiger Scheiß wird gerade mal namentlich erwähnt, es gibt so gut wie keine Informationen zu den Sendungen, man kann unvoreingenommen Fernsehgucken und zu einem kritischen Menschen reifen, der im Jahre 2015 vielleicht selber in die Politik geht und den Pfeifen da oben einmal zeigt, wo Bartels seinen Most holt (Teutoburger Wald, Medical Wellness Hotel Griepshop, Einzelzimmerzuschlag 10,- Euro pro Tag).
Die Wissensfülle, die das Heft seinen Lesern offeriert, ist wahrlich atemberaubend, aber wer röchelt schon gerne? Der wirklich einzige Grund für einen Lovesong an "TV neu" ist, das diese Zeitung es als einzige Zeitung für nötig hält, das Programm des Senders "Eins Festival" abzudrucken.
So war es ein durchaus bewußter Akt des kulturellen Safttrinkens, an einem Samstag im August um 18.30 Uhr die Sendung "Ich bin Vicky Leandros" einzuschalten, obwohl "Ich war Vicky Leandros" sicher der glücklichere Titel gewesen wäre, denn die Show war von 1971 und Vicky war es auch.
Die Erwartungen, die der Kenner dieser Kombination von Zahl und Frau entgegenbringt, sind mit herkömmlichem Vokabular gar nicht zu bewältigen, aber mit "To Traino" gelang der Sängerin ein kompromißloser Einstieg in bemerkenswerter Optik. Das kontrastreiche Bild zeigte die junge Griechin in einem abenteuerlichen Flatterkleid, das ihr genügend Spiel ließ, im Refrain so unvergleichlich mit den Armen zu wedeln. Dem technischen Zeitgeist und den bekifften Regisseuren entsprechend bestand ihr stolzes, weißes Gesicht nur noch aus wunderschönen, schwarzen, stolzen Augen, beziehungsweise dem Gesummse drumrum, dem wunderschönen, schwarzen, stolzen griechischen Mund und zwei schwarzen, stolzen Nasenlöchern. Diese kontrastreichen Attribute trug die aufstrebende Künstlerin konsequenterweise durch die komplette Sendung, wenngleich man im Profil bereits ihre durchaus vorhandene schöne Nase bejubeln konnte. Nur für die Statistik: Mit jedem Lied wechselte sie die Garderobe. Bei "Wie sich die Mühlen dreh´n im Wind" und "Free Again" waren es weitere Ausführungen der Flatterei, bei "Noch einmal", ohnehin nicht ihre stärkste Nummer, trug sie selbstbewußt eine lila Cordhose. Ob man das mit einem grünen Schal kombinieren sollte, bleibt sicher Geschmackssache, ebenso wie die eigenwilligen Kulissen und Statisten. Auf Gourmets wirkt es befremdlich, wenn bei "Summertime" Männer in Unterhosen durch das Bild laufen, ganz zu schweigen von den rauchenden Schloten und den permanenten Atombombenexplosionen, die man zur Mahnung auf die Leinwand geworfen und entsprechend bedrohlich coloriert hatte.
Nachdem Vicky fünf, sechs Nummern souverän geschmettert hatte, kamen erstmal Deep Purple, die zwei Songs von "Fireball" spielten. Kein schlechtes Package. Kurz danach stand Vicky, die arme Sau, mit all ihrer Grazie inmitten einer Schweineherde. Zum Zeitgeist der 70er gehörte es wohl auch, ab und zu nicht ganz richtig zu ticken. So verwundert es nicht, daß die beklagenswerte Chansonette das schöne Lied "Wie die wilden Schwäne" am Rednerpult des Bundestages singen mußte, sie gelb, Strauß und Stoltenberg blau, der Bundesadler braun, was man natürlich nur genießen kann, wenn man einen Farbfernseher hat, der diese Scheiße mitmacht.
Sicher, man sollte nicht alles dulden, was von dieser Frau ausgeht, aber schon damals schoß sie ihre berühmter Schmettertöne raus wie eine Echse ihre Zunge und...nun ja, man klebt eben dran fest.
Als die Show zuende war, lief bereits die Sportschau, genau, wie es die "TV neu" vorhergesagt hatte. Hoffenheim gegen Gladbach 1:0.
Bei allen Kübeln Spott, die man im Jahre 2008 rückblickend über Flatterkleider und Show-Statisten in Unterhosen ausschütten kann - das wäre 1971 nicht passiert.

 

|| nach oben

------------------------------------------------------------------

 

Der August 2008
Del Shannon: "Stranger In Town"

Exxom kam vom Planeten Phytan, hatte in der Sonnenschlacht von Thorobor Ghnusmsbi zum Imperator erklärt und war gerade dabei, mit den Schwadronen Eus die Galaxie Ypsilanti zu unterwerfen, als die Invasion plötzlich ins Stocken geriet. Waren es die Flux-Kataden, die Zhomi materialisierten, lag es an am Mond von Suba oder an seitwärts fließende Äonen aus der Welt DAPS? Nein, es lag an Commander Tonk, denn obwohl Sie angesichts dieser spannenden und cool durchdachten Story wohl nie darauf gekommen wären, muß ich Ihnen gestehen, daß ich gar kein Science Fiction-Autor bin. Ich erzähle lieber Geschichten, die wirklich passiert sind. Nichts gegen Außerirdische, aber die besten Stories bietet immer noch das wahre Leben. Maßgeblich im Showbiz beteiligt sind real existierende Personen aus Duisburg. Sehen Sie, vor ein paar Tagen habe ich zum Beispiel Susi Baumann, Langenberger Str. 161, 47229 Duisburg, getroffen.
Nun, aus so einer Begegnung kann man als geschulter Literat innerhalb kürzester Zeit eine Kolumne zimmern, die sowohl die Existenzfrage neu definiert, als auch die ganze Palette knallharter Action und verletzter Gefühle enthält. Mein persönliches Erfolgsrezept besteht darin, daß ich alles irgendwie zu meinen Gunsten verbiege und dabei gleichzeitig versuche, die anderen Protagonisten wie die letzten Trottel dastehen zu lassen.
Ich war zwar nicht mehr ganz nüchtern, aber es sah so aus, als hätte sich Susi in die Hose geschissen.
Übrigens: Wenn einem Autoren dieser Spagat gelingt, wie zum Beispiel mir in meinen Verkaufsschlagern "Raketen in Rock" und "Raketen in Dosen", kommt man in den Genuß eines sich langsam ausdünnenden Bekanntenkreises.
Susi sah genauso süß aus wie früher. Sie hatte sich natürlich nicht in die Hose geschissen. Vielmehr glich ihr Gang dem einer Elfe.
Selbstverständlich pflegt der Fachmann derartige Charakterzüge bei Besetzung der weiblichen Hauptrolle zu berücksichtigen. Das ist die hohe Kunst des männlichen Schreibens.
Susi trug noch immer die gleiche Frisur wie 1984 und konnte einen Kellner dazu bringen, ihr eine frische Limonade auf den Tisch zu stellen. Die Frau hatte einfach Power.
So wird es Sie sicher nicht verwundern, daß Action-Susi auch schon in meinem ersten Buch vorkam. Es war die exakt die Susi, die sich bei mir auf dem Boden wälzte, während sie einer Ballade der Gruppe Rainbow lauschte. Dabei sah sie exakt so aus, als hätte sie gerade guten Sex. Für mich war das exakt der Anlaß, der Welt von dieser Frau zu berichten. In einem, wie ich finde, durchaus lesenswerten Artikel beleuchtete ich verschiedene Aspekte unserer intensiven Zusammenkünfte, sodaß Susi auch fremden Menschen in Schleswig-Holstein inzwischen ein Begriff sein dürfte.
Natürlich trafen wir uns nicht nur auf dem Teppich, damals vor 25 Jahren. Wir gingen auch zusammen Essen und Trinken und vor allem gingen wir eines Tages zu einem Konzert von Herman van Veen. Da waren Gefühle im Spiel, da loderte Leidenschaft, da lernte ich mich mal von einer ganz anderen Seite kennen. Ja, in mir brannte ein Feuer, das sich vermutlich nur deshalb nicht ausbreiten konnte, da ich eine feste Freundin hatte. Schade eigentlich. Zumal Susi mich ja auch liebte, oder sagen wir besser: Ich war ihr sympathischer als Peter Maffay, und so genossen wir knisternde Momente, auf ewig eingebrannt in unseren vor Hitze glühenden Körpern, oder sagen wir besser: Gehirnzellen. Dann trennten sich unsere Wege. Ich ging zur Armee, Susi bekam Kinder.
Und dann sehe ich die Frau nach einem Vierteljahrhundert wieder, dann sehe ich zwei Herzen im Viervierteltakt und dann sehe ich uns übereinander herfallen. Was ich allerdings nicht sehe, ist, daß Susi sich in irgendeiner Art und Weise daran beteiligt. Sie sitzt zwei Meter von mir entfernt an einer Bank und hat Spaß mit anderen Leuten. Mein Blick ist auf sie gerichtet wie das Feuerrohr eines Panzers, doch Susi nimmt von meinem Rohr keine Notiz und sieht einfach durch mich durch.
Häh, was´n nu los? Ich meine, der Biergarten ist übersichtlich, ich bin fast zwei Meter groß und trage ein T-Shirt von Eisenpimmel - sie muß mich einfach wahrnehmen. Zumal ich sie auf eine sympathische Art dull anstarre. Die Frau ist beliebt. Im Laufe des Abends schart sie einen Fanclub um sich, und der einzige, der jetzt noch nicht mit ihr geredet hat, bin ich.
Wäre es möglich, daß Susi mich nicht erkennt?
Nein, das kann nicht sein.
Natürlich erkennt sie mich, freut sich wahnsinnig über meine Fresse, denkt zurück an die alten Zeiten, ist wahrscheinlich noch verknallt, yeah, alles ist im Flow, sie ignoriert mich halt nur. Okay, warum tut sie das?
Es gibt sechs Möglichkeiten.
1) Susi liest Liebesromane. Von mir kennt sie aber nur "Raketen in Rock", hat ihre Geschichte dort gelesen und danach beschlossen, fortan kein Wort mehr mit mir zu sprechen.
2) Susi liest Popkultur. Von mir kennt sie aber nur "Raketen in Dosen", ist sauer, daß sie nicht drin vorkommt und hat danach beschlossen, fortan kein Wort mehr mit mir zu sprechen.
3) Susi war gar nicht auf mich scharf, sondern auf Herman van Veen. Aber über mich sollte der Kontakt laufen, was definitiv nicht geklappt hat. Dann las Susi in "Raketen in Dosen", daß ich selbst mit Herman van Veen in der Kiste war und hat danach beschlossen, fortan kein Wort mehr mit mir zu sprechen (und mit Herman auch nicht).
4) Susi kennt weder "Raketen in Rock", noch "Raketen in Dosen" und hat das Nicht-Erkennen nur vorgetäuscht, da sie Angst hatte vor der großen, schönen Frau an meiner Seite.
5) Susi hat weder Angst noch Ahnung, sondern wartet auf eine Ballade von Rainbow, bei der sie auf dem Boden unauffällig zu mir hinkugeln kann.
6) Susi kennt "Raketen in Rock" nicht, Susi kennt "Raketen in Dosen" nicht und Susi kennt auch nicht den famosen Mann, der mit diesen beiden Beiträgen nicht nur das Weltkulturerbe seiner Stadt, sondern auch den Geschäftsklimaindex nachhaltig zu optimieren verstand. Nein, Susi hat keine Ahnung von all dem. Sie will einfach nur einen netten Abend verbringen, ohne ständig von so´m Oppa angeglotzt zu werden.
7) Sollte Susi einen ganz anderen Grund haben, kann sie ihn mir gerne sagen. Es ist ja nicht so, daß ich die Frauen nicht verstehe.

 

----------------------------------------------------------------

|| zurück zur aktuellen Kolumne

 

.