PSYCHOTIC YOUTH
SOME FUN
(SWE 1989)

Ab dem Tag, an dem der Malibu-Versand aus Hamburg Insolvenz anmeldete, habe ich damit aufgehört, Platten zu kaufen wie ein Eichhörnchen, das Nüsse sammelt.
Es konnte ja nicht ewig so weitergehen.
Mein Dispo war bis zum Limit überzogen und um zu gewährleisten, daß es diesem Versand niemals an Bestellungen mangelte, verzichtete ich auf Brot und Wasser. Ich fühlte mich nicht schlecht dabei, genoß mein Leben und die Prioritäten, die es setzte, aß ein großes Stück vom Kuchen. Vielleicht weil ich ahnte, daß es nicht ewig so weitergehen konnte.
Ende 1997 war es soweit. Malibu war pleite.
Zuhause öffnete ich eine Flasche Rotwein. Dann ging ich zu meinen Platten und blätterte mich durch die Schätzchen, die ich im Laufe der Zeit von Malibu bekommen hatte. Es war ein wehmütiger Abschied. Malibu hatte mich nie enttäuscht.
Zu neunzig Prozent handelte der Versand mit Gitarrenmusik aller Art, Malibu war aber auch der Dealer für obskure Re-Releases der BONZO DOG BAND oder ein paar Packungen neuer, gefütterter LP-Innenhüllen. Gelegentlich gab es günstige Sonderposten. Chris DeBurgh live für die Verstrahlten, eine KISS-Fan-Tasse für die Harten oder "Schmuddelhefte" aus Frankreich für die ganz Harten. Malibu war ein verläßlicher Partner, der Katalog ein guter Freund, dessen Angebot trotz aller kommerziellen Interessen stets ehrbaren moralischen Grundsätzen unterlag: Es wurden nur Sachen geführt, die entweder gnadenlos rockten, unsagbar schön waren oder eben so scheiße, daß sie einem zumindest ein spaßiges Wochenende verschafften.
Im Programm standen rare US-Importe von unfaßbar geilen Bands wie DONNER PARTY, GREEN oder SNATCHES OF PINK, Mini-Auflagen, die man in Deutschland so schnell kein zweites mal bekam. Dazu gab es massig Cheapos oder auch mal ´ne Best-Of Tony Marshall. Malibu war spezialisiert auf gar nichts, es mußte nur irgendwie cool sein.
Gelegentlich treffe ich mich mit anderen Ex-Junkies. Ach ja, die guten, alten Zeiten! Wir fachsimpeln über die besseren fünfzig Prozent unserer Plattensammlungen und sind uns einig darin, daß man diesem, und nur diesem Versand blind vertrauen konnte. Wenn der Katalog sie angeboten hätte, hätten viele ihre Freundin dort gekauft. Ganz zwanglos natürlich, denn Malibu war kein Club oder sowas. Einmal im Monat kam eine neue Liste und von Flensburg bis Garmisch spielten sich die gleichen Rituale ab: Heerscharen von chronisch blanken Musikliebhabern, die Monat für Monat treu ihr Geld nach Hamburg überwiesen hatten, schworen sich beim Öffnen der Post, diesmal auf keinen Fall etwas zu ordern, den Katalog direkt in den Papierkorb zu werfen oder höchstens vielleicht mal einen Blick zu riskieren. Was natürlich damit endete, daß wieder für 200 Mark Platten bestellt wurden.
Wohl dem, der einen gesicherten Job hatte. Und da der Verlust von Kaufkraft zuallererst bedeutet, daß man auf Platten verzichten muß, war die Existenz des Malibu-Versandes das größte Argument gegen Arbeitslosigkeit.
Am aufregendsten war das Durchstöbern des Kataloges, was ungefähr zwei, drei Stunden erforderte. Kenner machten ein Fest daraus. Mein Bruder zum Beispiel trank dabei einen halben Kasten Alt, während ich ihn grundsätzlich in der Badewanne las. Oder beim Kacken.
Es war an Fun nicht mehr zu überbieten, auf echte Schnäppchen zu stoßen oder einfach nur die gelungenen Verkaufsargumente wie "ich glaub, ich krieg ´n Steifen!" zu genießen.
Auch sehr prickelnd waren die vier Wochen Lieferzeit und die Tatsache, daß man einen Steifen bekam, wenn endlich die rote Karte von der Post im Briefkasten lag.
Wer diese Prozedur kennt, weiß, wie langweilig und witzlos es ist, eine Platte einfach im Internet zu bestellen und sie zwei, drei Tage später im Haus zu haben.
Eines schönen Tages fand sich in meinem Malibu-Paket zwischen amerikanischem Neo-Country, französischen Schmuddelheften und der Best-Of Tony Marshall eine LP von PSYCHOTIC YOUTH aus Schweden. Um ehrlich zu sein - mir ist erstmal alles aus dem Gesicht gefallen, als ich die Platte in den Händen hielt. Sehen Sie, ich war schon in der Innenstadt von Voerde, ich habe mir Volksmusik in Fernsehen angeschaut und Jürgen Drews live in einer Discothek erlebt (jaja, auch das), aber nie zuvor habe ich etwas derart abscheuliches wie diese Plattenhülle gesehen. Was für ein beschissenes Cover!
Die Frau ist nackt, ja? Sie liegt rücklings auf einem Felsen, richtig? Sie streckt ihre mächtigen Pampelmusen in die Sonne, nicht wahr? Schön, aber so funktioniert das nicht, Leute! Sexismus in dieser Form kommt nicht einmal bei Männern an, denn diese Frau ist grün! Grün! Scheiß Computer!
Mein erster Eindruck von PSYCHOTIC YOUTH war nicht gerade der beste. Für mich hatten die voll einen an der Waffel. Zumal Songtitel wie "Here We Go (Oh Yeah)", "Go For It Baby", "Some Fun", "More Fun" oder "Fun Gun Treatment" vermuten ließen, daß sie uns nicht viel zu sagen haben. Naja, wenigstens hatten wir die gleichen Interessen.
Dann kam der Moment, an dem ich die Platte das erste mal auf den Teller legte und die halbe Minute, in der sich die Ereignisse überschlugen. Während sich die Band hurtig durch die ersten Takte rappelte, wuchs in mir bereits das zarte Pflänzlein der Sympathie, mit der ersten Strophe wurde aus Freundschaft wahre Liebe und noch vor dem Refrain war ich ihr glühendster Verehrer. PSYCHOTIC YOUTH, soviel stand fest, sollte der Name meines ersten Sohnes sein.
Die Platte lief weiter und ohne, daß ich die Veränderung bemerkt hatte, war mein Wohnzimmer plötzlich rosa. Es war kein Licht, wie es 60-Watt-Glühbirnen erzeugen, nein, es war warm, weich und voller Poesie. Es strömte in meine Lungen, floß durch meine Adern, Licht, aus dem sich ein heller Tunnel herausschälte. Daraus Stimmen, huh huh, komm zu uns, darüber Möwen, piep piep, daneben A-Dur spielende Engelchen mit güldenen Locken, auf der Zunge den Geschmack von salzig schmeckender Luft. Hinten, vorne, oben und unten am Strand Gitarrenklänge vom Tanz am See, "Pipeline" vor- und rückwärts, Erdbeerbowle. Winkend flogen Surfer vorbei. Fünf, sechs, acht, während die grüne Frau mit der Popcornmaschine nach Sonnenöl schrie.
Ich genoß diese Offenbarung mit geschlossenen Augen und heruntergeklappter Kinnlade. Und als ich damit fertig war, wußte ich, daß PSYCHOTIC YOUTH ihren Namen völlig zu Recht tragen. Sie klangen wie die Greatest Hits der RAMONES und der BEACH BOYS, wenn man sie bei 33 rpm kreuzt und mit 45 wieder abspielt. Okay, das kriegt man heute an jeder Straßenecke, aber damals war es eine Sensation.
Die Entdeckung wurde gefeiert, betrunken und sogleich den Kollegen zugetragen, denn unsere eigene Band sollte gerade irgendwas von Bryan Adams covern und das wollte ich nicht. Wir waren nämlich gerade auf dem Sprung in die Weltspitze und da wollte jeder Schritt gut überlegt sein. Zumal wir uns so viel Mühe mit unserem Bandnamen gemacht hatten. An jedem Wort wurde wochenlang gearbeitet. Herausgekommen ist
JIMMY KEITH & HIS SHOCKY HORRORS.
Gesundheit.
Danke.
Ich bitte um Verzeihung, wenn ich Sie darauf aufmerksam mache, daß das ein verdammt cooler Name für eine Band ist.
Gerade in der heutigen Zeit, wo die Jugend macht, was sie will. Da gibt es zum Beispiel tatsächlich noch Bands, die sich PUR nennen. Besser gesagt: eine, nämlich PUR. Nichts gegen den erdigen Rock dieser Band, nichts gegen die provokanten Texte, aber im Gegensatz zu...pfft... sagen wir DANNY JOE BROWN WITH THE DANNY JOE BROWN BAND klingt der Name doch ein bißchen mickrig. Was natürlich nur daran liegt, daß man für den einen Namen einen halben Tag Zeit braucht, um ihn überhaupt auszusprechen, den anderen hingegen aus nur drei Buchstaben problemlos selber bilden kann. Drei Buchstaben! Als Profimusiker! Nicht zu fassen.
Mit Verlaub, meine Herren, was ist denn das für ein Berufsauffassung?
Wir waren da doch um einiges professioneller. Leider waren wir nicht ganz so erfolgreich.
Äh, ich möchte hier niemanden langweilen, aber was ich sagen kann, ist, daß wir Ende der 80er auch von PSYCHOTIC YOUTH geprägt wurden. Unsere Songs wurden schneller und mehrstimmig und schon hatten wir den Salat. Plötzlich spielten wir vor Punks, die zu unseren krachigen Coverversionen von "Hey Rock´n´Roll", "Living Next Door To Alice" und "Rockin´ All Over The World" in die Luft sprangen. Wir sahen uns zwar nach wie vor als Rhythm´n´Blues Band, aber die Punks sahen das völlig anders. Mit der Zeit gewöhnten wir uns daran, von fremden Menschen vollgerotzt zu werden, die Mikros in die Zähne zu kriegen und auf die Bühne umzufallen, wenn gerade wieder einmal ein Punker durch die Luft geschossen kam.
Das hatte soviel Stil, daß ich beschloß, nicht mehr im Jacket auf die Bühne zu gehen. So trug ich mein selbstgemaltes Gunter Gabriel-Shirt, als wir Karneval 1990 das erste mal in Bonn spielten. Großer Gott, was für eine Nacht!
Sie begann am späten Nachmittag. Wir kamen in Frieden mit unserem klapperigen, schwarzen Bus im Schritttempo angezuckelt und erfreuten uns an der ungebremsten Fröhlichkeit der Eingeborenen, die durch die beschlagenen Fenster sogleich unsere Seelen erwärmte. Der Empfang war herzlich. Als wir mit dem Diesel vor dem Laden standen, schlugen Hände gegen die Scheiben, traten Füße gegen die Stoßstange und kotzte jemand gegen unsere Tür. Direkt vor unseren Nasen bewarfen sich zwei Gestalten mit einem Dönerbrötchen. Mein Gefühl riet mir, möglichst schnell viel Bier zu trinken.
Rund zweihundert Leute hatten sich draußen vor dem Schuppen versammelt und grölten die Lieder, die nur Punker grölen können. Über stramme Waden und krumme Beine kletterten wir durch den Eingang und sahen, daß die Hütte bereits auseinanderplatzte. Das Volk war bunt gemischt und vom allerfeinsten. Jeder Meter Haarspray, Tattoos und Nieten, jeder Liter Bier, Schweiß und Kotze, jede Sekunde big fucking party. Ich mußte pissen und brauchte zwanzig Minuten bis zum Boller. Dort saßen und standen die Leute ineinander verknotet und grunzten, während St. Vicious im Pißbecken lag und schnarchte. Aus der Scheißhauskabine klopfte jemand gegen die Tür und schrie dabei ununterbrochen "Brian Jones lebt!" Die Musik ein brüllend lautes Anarchogeknüppel, die ganze Meute lattenstramm und mittendrin ein Fan von DR. FEELGOOD im selbstgemalten Gunter Gabriel-Shirt. Na dann Helau! Ich dachte, hier kriegste bestimmt was auf die Schnauze, stattdessen lernte ich dort meine Freundin kennen, mit der ich zwei Jahre später eine Radiosendung machte.
Man darf im Offenen Kanal PSYCHOTIC YOUTH spielen, wenn im öffentlich rechtlichen Rundfunk Wolfgang Petry erlaubt ist, aber wir spielten SHOWADDYWADDY und DEVIL DOGS. Das Konzept der Hullaballoo-Radio-Show war, daß wir den Ärger, den wir tagsüber miteinander hatten, am frühen Abend öffentlich austrugen. Sollte doch der Hörer entscheiden, wer von uns die besseren Argumente lieferte. Selbige waren in den Kosenamen wie Kahlschwein oder Glatzenknödel (für ihn), beziehungsweise Frau Nase oder Westerwaldfötzchen (für sie) versteckt und wer wollte, konnte uns zuhören und sich seinen Teil denken.
Auf jeden Fall war die Radiosendung ein guter Einstieg in´s Showgeschäft. Ein so guter, daß wir uns nur wenig später zusammen mit Ralle Real Shock, Ille, Hanns und Pitter gleich an die erste eigene Fernsehshow wagten. Geplant war die große Samstagabendunterhaltung für die ganze Familie, nicht so ein Minderheitenquatsch. Die Sendung sollte "Sixpack" heißen und Punkrock und Alkohol auf eine ehrliche Art glorifizieren.
Wir legten gleich los. In Windeseile entstanden Standstreifen und Roadmovies und das ganze Zeug dazwischen, bis wir endlich den Vorspann, einen Backstagereport mit NOISE ANNOYS, den Trinkhallenspot, die RICHIES live im Proberaum, sieben Folgen von Drama im Tierreich und einen Spontanbesuch bei Nr. 7 im Kasten hatten. Dazu stellte jeder seine derzeitige Lieblingsplatte vor, während er auf der Toilette saß oder auf dem Boden herumkrabbelte.
Ich erstarre vor Ehrfurcht, wenn ich mir das Video mit den einzelnen Beiträgen heute anschaue. Mann, wir hätten es echt schaffen können! Wer weiß, wären wir am Ball geblieben, würde einer von uns heute vielleicht Verstehen Sie Spaß moderieren, mindestens aber den Presseclub, wahrscheinlich sogar Skispringen.
Was uns betraf, war alles soweit fertig. Wir hatten ganze Arbeit geleistet. Germany - 12 points. Leider fanden wir niemanden, der einen Monat Zeit aufbringen wollte, um die Scheiße zusammenzuschneiden.
Schade um die Volksgesundheit, denn wir boten auch Clips, die sich jeder der Moderatoren aus seiner eigenen Videosammlung wünschen durfte. Meiner war, das darf ich hier erzählen, "Here We Go (Oh Yeah)" von PSYCHOTIC YOUTH, den mir mein Bruder mal in grauer Vorzeit von Tele 5 aufgenommen hatte, als es noch echte Independentmusik im Fernsehen gab.
Here We Go. Aber wer goet? Vier Schweden goen. Und wohin goen sie? Nach Griechenland natürlich. Zum Pop-Olymp, um ihre Häupter auf ewig darniederzubetten. Ja, dann ist gut (oh Yeah).
Einmal im Leben wollte ich dem Komponisten, Sänger und Texter Jörgen Westman die Hand schütteln. Wir trafen uns auf einer Bierkiste in Düsseldorf. Er erzählte mir, daß ein Großteil der schwedischen Bands nur aus Attituden und Styling bestehen und daß PSYCHOTIC YOUTH dagegen ganz schön alt aussehen, da sie das nie interessiert hat.
Ich sah das "Some Fun"-Cover mit der grünen Frau vor mir und dachte nur Junge, wie Recht du damit hast.

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