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Der Juli (2007)
The Police: "Bring On The Night"

Gehöre ich zu den Leuten, die Popmusik nach soziologischen Aspekten analysieren, ihre historischen Wurzeln beleuchten, formidable Multimediakonzepte in einem popkulturellen Kontext betrachten und sich zur Einführung einer Radioquote für deutschsprachige Musik äußern? Sicher nicht.
Schimpfe ich trotzdem auf die Musikindustrie? Natürlich! Jeden Tag. Die Brüder haben mein Leben zerstört. Zum Beispiel haben sie 1992 ihr LP-Preßwerk geschlossen (EMI), ihre Platten meist in unbedruckte Innentaschen aus billigem Kratzpapier gesteckt (Ariola), Frank Zappa gestattet, nur drei Doppelalben pro Jahr herauszubringen (CBS) und meine damalige Band nicht gesignt (EMI, Ariola, CBS, Polydor, WEA, Teldec). Mann, das haben sie echt verbockt.
Aber das schlimmste ist wohl, daß uns die Schweine seit Jahrzehnten mit einem Virus infizieren, dem wir schutzlos ausgeliefert sind. Wir Fachleute sprechen vom so genannten Ohrwurm.
Hat sich das Biest erst einmal im Körper des Patienten festgebissen, läßt es sich nur schwer entfernen. Gut sind Bestrahlungen, Akupunkturen und Antibiotika, wenn auch nicht in diesem Kontext. Gut sind sicher auch Deutschlands Chirurgen, allerdings ist ein operativer Eingriff relativ schwierig, da beide Hirnhälften betroffen sind und man beide Hirnhälften zum Zubinden der Schuhe benötigt.
Verständlich also, daß sich kein Mensch einen Ohrwurm einfangen möchte. Wenn es aber doch passiert, ist es am besten, man gibt diesen Virus direkt weiter. Schön für Sie, wenn Sie gerade was Ernstes am laufen haben. Weniger schön für Ihren Partner. Was soll´s - Sie sind im Recht! In einer offenen Beziehung sollte man sich alles sagen oder singen dürfen, isn´t it? Sie können auch gerne einen Schritt weiter gehen und Ohrwürmer weitergeben, die Sie gar nicht haben.
Nur zu, das macht Spaß! Besonders dann, wenn man weiß, auf welche Lieder der Partner allergisch reagiert. Hier mal unverbindlich ein kleiner Hinweis: Die Bouzouki la Paloma Blanca klang zehn nackte Frisösen in der Mokka-Milch-Eisbar durch die Sommernacht, ja, lebt denn der alte Holzmichel noch, ich bin der Hass.
Natürlich weiß ich nicht, ob diese flockigen Weisen bei allen Menschen eine dermaßen durchschlagende Wirkung haben, aber meine offene Beziehung Mona geht an die Decke, wenn man ihr nur eine davon flötenderweise implantiert. Und Frauen an der Decke haben ihren Reiz.
Aber davon einmal abgesehen ist es schon seltsam, was einem stellenweise durch den Kopf schießt. Mona saß vor ein paar Tagen am Frühstückstisch und summte, das können Sie mir glauben, "Vamos a la playa" und sah natürlich alles andere als fröhlich dabei aus. Ungefähr zur gleichen Zeit stieß mein Hinterstübchen auf "Bring On The Night" von POLICE, allerdings nicht auf den Song als solches, sondern nur auf den Solo-Teil. Verrückt, ich wollte den Song im Kopf stets von vorne abspulen, doch die Nadel an der Arachnoidalmembran sprang immer direkt zum Solo, das ich dann auch bald zu schätzen lernte. Alles in allem ist das Solo von "Bring On The Night" ein wunderschönes Stück Musik, doch doch doch. Gegen das Solo von "Bring On The Night" wirkt "Bring On The Night" mit Soße wie ein folienverpackter frischer Fisch, den man aber noch mit einer alten Zeitung umwickelt, wenn Sie verstehen, was ich meine. Wobei das Gekrähe von Sting natürlich die Zeitung symbolisieren soll, da nehme ich jetzt mal kein Blatt vor den Mund, das ist einfach so bei Ohrwürmern (zumindest bei denen, die einen Stachel haben).
Das reizvolle an dieser Episode (die inzwischen aber auch schon wieder vorbei ist, da mir zur Zeit nur noch der funky Bass-Schlag vom Anfang von "Undercover" (ROLLING STONES) im Kopf rumschwirrt) war, daß ich seitdem eigentlich ganz gut damit fahre, wenn ich mich nur noch mit Auszügen, Ausschnitten und Extrakten von Songs, Fernsehsendungen und Menschen beschäftige und den Rest einfach nicht mehr an mich ranlasse. Es hat durchaus seine Vorteile, Sachen nicht mehr wahrzunehmen, die einen stören.
Das kann Frauen betreffen, die man fünfzehn Jahre nicht gesehen hat (ein Krähennest voller Sorgenfalten, aber immer noch schöne Beine), Einkaufszentren in Duisburg (eine unglaubliche beschissene Architektur, aber saubere Toiletten), Bands wie TELE, TOMTE oder TUNTE (übelster Schülerrock, aber mutig, sowas zu veröffentlichen) und natürlich auch Fußballspieler. Ich sag nur Ailton und krieg sofort ´n Steifen.
Wie Sie vielleicht schon gehört haben, ist der knubbelige Mann jetzt Mitglied meines Fußballvereins, den MSV Duisburg (den Sie vermutlich nicht kennen werden).
Damit ist klar, daß jetzt alles besser wird, denn Ailton ist die Eintrittskarte in den Quatsch-Comedy-Club. Musse habn Spas. Stimmt schon. Diesen Teil von Fußball sollte man bei allem Ernst nicht außer acht lassen.
Nichts dagegen, wenn Ailton auch ein paar Buden macht, aber in erster Linie sollte der Mann nach dem Abpfiff Interviews geben und seine (und damit auch unsere) Sympathiewerte steigern. Der Teil von Ailton, der wirklich zählt, ist die Pressearbeit.
Wovon die SPICE GIRLS übrigens auch eine Menge verstehen. Die gibt´s also auch wieder, hipp hipp hurra. SPICE GIRLS, okay, da gibt es sicher einen Teil, der mich interessieren könnte.
Ja, bestimmt, ich komm gleich drauf.
Mal kurz nachdenken.
Moment noch.
Hm.
Interessante Teile? Ausgerechnet bei den SPICE GIRLS? Du meine Güte, was schreibt man denn da so?
Irgendwelche Fähigkeiten?
Irgendwelche Charaktereigenschaften?
Irgendwelche Körperteile?
Nee. Dann haben sie wahrscheinlich irgendeinen Ohrwurm, mit dem man die Frau ärgern kann.

 

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Der Juni (2007)
Brinsley Schwarz: "(What´s So Funny ´Bout) Peace, Love And Understanding"

Es gibt Charakterzüge, die so selten vorkommen, daß sie gemeinhin hoch gehandelt werden. Sensibilität, so heißt es, steigert die Attraktivität von Männern. Was hoffentlich stimmt, da ich zufälligerweise den großen Teil dieser empfindsamen Elite ausmache.
Das ist oft ganz nett, aber eben auch nicht immer. Es gibt durchaus Momente, in denen man leidet. Ich sag nur: G8-Gipfel. Erwärmung. Geldmangel. Hunger. Für zartbesaitete Gemüter ist das kein Zuckerschlecken.
Ich darf behaupten, daß mich die Bilder von Genua bis in den Schlaf verfolgten und darüber hinaus bis nach Aldi, wenn der Schlaf zuende war. Sie können sich vorstellen, daß ich nicht gerade Purzelbäume schlug, als ich Anfang Juni plötzlich zwischen Al Bundy, Mutter Beimer und zwei schön belanglosen Fußballhalbzeiten die schockierenden Fernsehbilder aus Rostock sah. Das schlimme dabei ist, daß sich die Bilder immer wiederholen, Jahr für Jahr, daß es immer die gleichen Leute sind, die sich völlig daneben benehmen. Ich habe fast den Eindruck, daß von Seiten des Staates kein wirkliches Interesse besteht, dagegen vorzugehen. Die Polizei hält sich wie so oft vornehm zurück, wenn bestimmte Aktivisten meinen, sich im Schutz der Masse alles erlauben zu können. Das macht mich wahnsinnig. Die Augen der ganzen Welt sind auf die Bühne Rostock gerichtet und der blöde Bob Geldof behauptet, "What´s So Funny ´Bout Peace, Love And Understanding" wäre von Elvis Costello!
Ha! Elvis Costello! Elvis Costello! Also Heinz-Rudolf Kunze! Nicht zu glauben.
Man müßte angesichts dieses Elends wirklich mal protestieren, demonstrieren und Barrikaden mit Kot beschmieren, denn diese unfaßbare, sinnlose Gewalt richtet sich wieder einmal gegen die ausgebeuteten Komponisten, die im Konzert der Großen natürlich keine Lobby haben.
Sir Bob, read this: Nick Lowe hat diesen Song geschrieben! N-i-c-k L-o-w-e! Du Pfeife!
Grönemeyer sollte in Zukunft besser aufpassen, wer auf seinem Rock-Gipfel an seinem Rock-Zipfel klebt. Meine Stimme gegen Armut kriegt Bob Geldof jedenfalls nicht. Auch nicht Elvis Costello. Meine Stimme bekommt Nick Lowe, damit er nicht verhungert.
Es ist beschämend, daß ein teurer und sinnloser G8-Gipfel mit unverbindlichen Absichtserklärungen und blutigen Krawallen mit diesem Skandal ausklingen mußte.
Naja. Wahrscheinlich müssen wir mit diesem Ergebnis jetzt irgendwie leben. Ich habe auch keine Idee, wie wir das Problem in den Griff bekommen können. Ich bin nur sensibel, nicht klug, und es betrifft ja weitaus mehr Menschen als nur Nick Lowe. Nehmen wir Oscar Hammerstein II: Der Mann hat 1945 für ein Musical einen Song geschrieben, den später GERRY & THE PACEMAKERS in seiner ultimaten Version aufnahmen, aber abertausende Fotzköpfe werden Ihnen erzählen, daß "You´ll Never Walk Alone" von den TOTEN HOSEN ist! Aber sie irren, die Idioten. Damit Ihnen das nicht passiert, hier ein paar Grundlagen über die Dinge, die Sie vielleicht gutfinden:
"Die letzte Schlacht gewinnen wir" ist von TON STEINE SCHERBEN und nicht von den DÖDELHAIEN, "Über 7 Brücken mußt du gehen" hat nicht der arme Peter Maffay, sondern der Ostdiamant KARAT verbrochen, hinter Peter Gabriel verbirgt sich ein Mann namens Guildo Horn und TURBONEGRO sind in Wahrheit TED NUGENT! Bitte nicht mehr verwechseln! Und davon einmal abgesehen: Es heißt ja wohl eindeutig "I am sailing, I am sailing, home again ´cross the sea" und nicht "Wir sind Zebras, super Zebras, keine Ahnung, scheißegal".
Ein bißchen mehr Respekt vor den Erzeugern, bitte, denn was ist so lustig an Frieden, Liebe und Verständnis? Wohl gar nichts. Während also die großen acht noch in Heiligendamm beim flockigen Brunch zusammensaßen, fuhr meine liebe Frau Mona zum Textil-Diskont und kam mit einem T-Shirt zurück, auf dem in Glitzerschrift "PEACE AND LOVE 100%" steht. Im selben Moment fiel ich vor ihr auf die Knie.
Ganz offensichtlich steigert Sensibilität auch die Attraktivität von Frauen.

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