JASON & THE SCORCHERS
LOST AND FOUND
(USA 1985)
Wenn man jung ist, mit einem Sack bis zu den Kniekehlen, lernt man es zu schätzen, wenn man sich zumindest im Rock-Puff austoben kann. Der Abbau von Sperma mittels guter Musik ist wichtig. Damit man keinen Frust aufbaut. Damit man keine Depressionen bekommt. Damit einem die Hosen noch passen.
Bei mir ging das leider nicht.
Scheiße.
Gute Musik machte in den 80er Jahren eine Pause. Schwere Zeiten für Feinschmecker. Buddy Holly war gerade gestorben und Nine Pound Hammer noch nicht existent. Ich muß niemandem erzählen, wie verheerend die Folgen waren. Ich arme Wurst wuchs also in einem schwarzen Loch auf, in dem es nichts gab außer Klingonen und täglich frische Wäsche. Schnell kam ich dahinter, wer schuld war an diesem Dilemma. Es war die Partei, wer auch sonst? Die CDU mit ihrem Generationsvertrag hatte uns ganz schön beschissen. Und wer in den 80er Jahren zum Mann geworden ist, war direkt doppelt gearscht: Zum einen war in der sehr verehrten Rockmusik die hochachtungsvolle Gitarre plötzlich ein Auslaufmodell, zum anderen fingen die jungen Mädchen auf einmal damit an, sich häßliche Fönfrisuren und weite Schlabberklamotten zuzulegen, eine Art visuellen Keuschheitsgürtel, mit dem sie jeden Kerl vergraulten. Wir Männer verstanden die Welt nicht mehr. Wir wollten ja nur Kinder zeugen und Ackerbau betreiben. Ging mit dieser Generation verkorkster Weiber aber nicht, ein Riesen-Radau, posttraumatische Gewalterlebnisse, der vorprogrammierte Konflikt, das kaputte Elternhaus, bin ich eben Nazi geworden.
Ich wuchs heran zum einsamen Wolf der Straße, einer stoppeligen Kreatur der Nacht, der mit einem Päckchen Zigarillos und einer guten Flasche Scotch zumindest einen Teil des Lifestyles retten wollte, um das Erbe (und die Fahne) von Bon Scott hochzuhalten. Ein Großteil meiner Bekannten dachte genauso und wer nicht so dachte, wurde verspottet.
Die alten Haudegen des Ilja Richter-Rock-Lexikons wie Golden Earring, Udo Lindenberg und besonders Franz K. veröffentlichten in dieser verseuchten Dekade ihre allerschlimmsten Platten und auch die Spaßland-Gegenkultur deportierte viele Bands (Anti Nowhere League, Cockney Rejects, Warlock) ulkigerweise in´s Metallwarenlager zu den Nieten. Zu allem Überfluß explodierte Tschernobyl und nicht Deep Purple. Kurz gesagt, die Kacke war am dampfen. Als Original-Zeitzeuge fühlte ich mich dazu berufen, in meinem damaligen Musikmagazin Rock-Zeitung (1983 - 1991) einen wichtigen Leidartikel darüber zu schreiben, warum Joe Cocker besser ist als Nena. Daraufhin setzte mein inzwischen leider verstorbener Kumpel Lothar mit Warum Hippies besser sind als Punks noch einen drauf und nachdem wir irgendwann dahinterkamen, warum Kartoffeln besser sind als Wollpullover, hörten wir auf mit der Scheiße.
Die Amerikaner sollten uns wieder einmal helfen. 1985 erschien Lost And Found von Jason & The Scorchers und machte aus einem Paar Pantoffelhelden wieder zwei tanzende Füße.
Was macht diese Platte so essentiell? - Alles.
Was machen Bläser, Computer und Keyboards auf dieser LP? - Nichts.
Serviert wird Country-lastiger Rock´n´Roll, der in dezenten Intervallen zum Cow-Punk mutiert, sich gern mal zum Schweinerock schüttelt und sogar zwei schöne Country-Balladen aus dem Heu zaubert. Ein durch und durch ländliches Produkt aus dem Kuhdorf Nashville. Intensität: Eine Million Volt. Grund: Einsicht in die Notwendigkeit. Auslöser: Vermutlich gesunde Milch. Es ist eine feine Sache, einer Rock´n´Roll-Band zuzuhören, die wirklich kickt. So viele gibt´s davon nämlich nicht. Aber das ist, tja, wie soll ich´s sagen, wie Schmierkäse mit Mehlgeschmack. Ein Bavaria Blue wird das erst, wenn das Songwriting stimmt, wenn die Akkordfolgen mehr Power haben als der Turmbau zu Marshall. Hört Euch die Früh-80er Kinks an! Hört, lernt und dankt mir für den Tip! Diese Lektion hatten unsere vier Rancher natürlich längst intus, als sie mit Lost And Found ihre zweite Platte nach Europa brachten - an einen Import des radikal kuhmäßigen Vorgänger- und Bauernverbandes Jason & The Nashville Scorchers war damals nicht zu denken, wir hatten ja nur Sex im Kopp.
Aber war das alles? Natürlich nicht! Die Gruppe hatte zwei eingebaute Bonus-Tracks, Jason Ringenberg, den begnadeten Sänger / Songschreiber und Warner E. Hodges, den besten Gitarristen der Welt. Starker Tobak, wa? Du kratzt an Dir rum und denkst "bester Gitarrist? - Arschlecken", doch ich sage ja aus voller Brust, also halt die Klappe und stör mich nicht beim Luftgitarre spielen.
Warner ist Amerikaner und kann alles, wenn er will. Er hat die Power, er hat den Look, er hat die Technik, mit der er die irrsten Fills, Riffs und Töne erzeugt. Er, und damit meine ich seine Gitarre, eine rot-schwarze Gibson Mussolini GT, quietscht, zerrt und jault, als würde einer seinen Oppa erschlagen. Und selbst in einem Takt voller Pause erzeugt die bloße Existenz seiner eingeschalteten Axt für Gänsehaut auf Entenbrust. Mit Seppel, mit dem ich schon früher gerne rauchte, redete und soff, gründete ich sofort die Wehrsportgruppe Whisky. Wir schnappten uns einen Kassettenrekorder und zogen raus in die Natur. Dort, im Rapsfeld, installierten wir unsere mobile Disco-Anlage zwischen ein paar Grashalmen und Hundescheiße und fühlten uns vom Whisky schon reichlich kinda groovy. Wir brachten die leeren Flaschen zur Feld-Bar, banden unsere Schuhe zu und drehten den Regler auf zehn. Dann wurde erstmal einer abgehottet. Da is Pogo nix gegen, das is mal klar. Da kann Pogo gar nix für, denn wir konnten bei besonders schmackigen Refrains direkt sowas von in die Ernte der Nation diven, das war schon ziemlich feierlich. Es war der Himmel im Heu! Kein Arsch fummelte uns an der Musik rum, keine niedrige Deckenbeleuchtung störte uns Hünen beim Springen, keine Weiber wollten immer nur das eine. Falls es den ein oder anderen Touristen interessiert: Unser Platz lag am Feldweg in Duisburg-Großenbaum, hinter Allkauf, damals Primus, früher Stocks, jetzt Real. Ab und zu kamen Fahrradfahrer vorbei, einmal hielt einer an.
"Ey, Ihr Spackos! Wat macht Ihr denn da?"
Wir zwei Soldaten der Weitflugschneise wischten uns Heu und Erde aus der Fresse und sagten erstmal "nix!". Und aus dem Kassettenrekorder krachte "Blanket Of Sorrow". Und auf dem Feldweg setzte sich ein dicker Mann mit Glatze wieder auf sein Klapprad und kam mit heißen Informationen rüber.
"Ich fahr jetzt nach Hause zu meiner Ollen."
Wir zweifelten keinen Moment daran, daß sie Dolly hieß und aus Gummi war.
Aber wir stellten auch fest, daß Jason & The Scorchers die Menschen einander näherbrachte und wir dafür einen guten Platz gewählt hatten.
Dann, eigentlich ganz gut im Timing, kam das Konzert in der Bochumer Zeche, Juni 85. Just am Tag meiner mündlichen Abschlußprüfung zum Industriekaufmann. Wenn man die besteht, weiß man quasi alles und kriegt überall ´n Job. Für mich gelernten Held der Arbeit war es eine Frage der Ehre, diese Prüfung mit "gut" zu absolvieren. Das zeigte dem Pöbel ein für allemal, daß gesunde Musik gesunde Gedanken erzeugt. Die Prüfung war puppig. Um elf Uhr morgens war ich schon wieder zuhause bei Muttern und meldete erstmal die gewonnene Schlacht. Danach mußte ich nochmal zu Mannesmann, meinem Arbeitgeber, irgendwelche Triumph-Formalitäten klären. Und jetzt kommt der Hammer, der bestimmt viele Punker total schocken wird! Auf dem Weg dorthin trank ich sage und schreibe eine Dose Bier! Kerl, wat war ich doch für´n Terrorist! Und da ich grad so schön zugange war, entschied ich mich spontan dafür, auch den Rest des Tages alkoholisch zu leben, ja, ich glaube sogar, ich war süchtig geworden von diesem gefährlichen Zeug. Egal. Darauf konnte ich nun keine Rücksicht mehr nehmen. Vielmehr bereitete ich mich innerlich darauf vor, in der Zeche an 55 Orgasmen zu sterben und somit wenigstens einmal in der Zeitung zu stehen.
Es war nicht so voll, wie man befürchten mußte. Ein Jahr zuvor hatte die Band im Rahmen eines Konzerts mit den Meteors für den Rockpalast in Hamburg mit einem eher...äh... intoleranten Publikum zu kämpfen. Die Bühne damals sah hinterher aus wie die Oberfläche einer Haferflockensuppe. Jason gab alles. Er lief mit einer Harp bewaffnet in´s Publikum und blies die Harmonika Jerichos. Prompt klaute ihm so´n Arsch den schönen Hut mit der Feder dran. So langsam wurde Jason sauer, so sauer, daß sie einfach eine Zugabe spielten, die er mit weisen Worten ankündigte: "Hey you guys! Do you know Hank Williams? Hank Williams was real cool. He wasn´t phony cool and he didn´t have a cool haircut, Hank Williams was r-e-a-l cool. It will take some time, but you will figure it out someday."
Dann ging´s auf den Lost Highway, der an jenem heiligen Tag bis in die Zeche führte, wo die Band das Publikum mit ihrer Musik in eine Art Brachialpetting verwickelte. Es war eins dieser Konzerte, von denen man schon nach zehn Sekunden weiß, daß sie unvergeßlich bleiben werden. Ich bekam eine Gänsehaut nach der anderen, stampfte mit den Füßen, griff mir an die Birne. Was für eine Power! Was für ein bekloppter Gitarrist! Die Rock´n´Roll-Höllenmaschine drehte Pirouetten mit sich selbst und der Gitarre, stellte Hallenrekorde im Hochsprung auf und verlor dabei nie die Kippe aus dem Mundwinkel. Aus gutem Grund war ich schwer begeistert, fuhr nach Hause und bekam mein Leben wieder in den Griff.
Viereinhalb Jahre später sah ich sie noch einmal. Mit einem Bonus-Gitarristen, kann ja nicht schaden. Es war, als wäre kein Tag vergangen. Rock´n´Roll hält eben jung, ich seh es ja an mir! Jason, das süße Früchtchen, taumelte unbeholfen auf der Bühne herum, schüchtern, aber smart auf halb sieben zugehend, während die Band eine Zwölf nach der anderen traf. Also bitte, liebe Leute: Nie wieder ein Wort der Kritik gegen diese Band, die übrigens nach ein paar Jahren mit Drogenproblemen wieder in der Originalbesetzung aktiv ist und Touren absagt.