KIM WILDE
KIM WILDE
(GB 1981)

Jutta, 23, war auf der Suche nach einem treuen, ehrlichen Freund mit den Hobbies Sonne und Video, ´nem Riecher für Romantik, gerne auch ein einfacher Arbeiter.
Es war das erste und letzte mal, daß ich auf eine Kontaktanzeige antwortete.
Die Annonce machte zwar Appetit auf Quark, verschwieg aber gravierende Karrosserieschäden. Jutta war das, was man im ehrlichen Ruhrgebiet einen Kawenzmann nennt. Üppige hundert Kilo bei katholischen 1,82 m, leicht älter aussehend, resolutes Auftreten. Kein Mädchen, mit dem man mal einfach so in die Kiste springt.
Wir trafen uns ein paar mal bei mir und langweilten uns, was aber -das möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich betonen- auf keinen Fall an mir lag. Gerne hätte ich mich mit ihr über den neuen, amerikanischen Country-Rock unterhalten, gerne über Buddy Holly und gerne über Fußball, aber irgendwie hatte sie von allem keine Ahnung. Sie kam aus dem rüpelhaften Norden der Stadt, hatte ein Auto und auch sonst keine Gemeinsamkeiten. Jutta war mit Leib und Seele Verwaltungsfachangestellte. Fein. Damit gehörte sie zu der Sorte Frauen, denen man einen großen Gefallen tut, wenn man mit ihnen über das englische Königshaus spricht und sie beim Sex unten liegen läßt.
Da wir keinen Sex hatten, erfuhr ich im Laufe der Zeit alles über den FC Buckingham und wer mit wem. Mir ging´s nicht gut. Ich versuchte, mich mit einer Art Dauersuff örtlich zu betäuben und dachte dabei immer häufiger an meine Ex-Freundin, ein schweigsames, braves Mädel mit eher zierlichen Proportionen. Jutta war irgendwie anders. Während sie redete, laberte und quakte, fielen mich ihre überdimensionalen Möpse an. Ein Grund, warum Männer so oft an´s Ficken denken, ist sicherlich der, daß die Frauen dann wenigstens mal für zwei Minuten die Schnauze halten.
Am Ende der vierten Nacht zog ich Bilanz und mußte feststellen, daß auch ihr Verstand keinen Gewinn abwarf. Charakterlich hatte sie gerade mal genug Eigenkapital, um ihre Ein-Mann-Firma am Kacken zu halten, außerdem war sie mit ihrem Äußeren meterweit im Minus. Schon klar, daß der Charakter zählt, aber reich war sie auch nicht.
Ich beschloß, sie bei der nächsten Gelegenheit möglichst taktvoll auf den Mond zu schießen. Während ich an meiner Ausstiegsklausel bastelte, schleppte sie mich auf die Party ihrer Freundin Gabi. Gabi war okay, obwohl sie ihren Strom mit Whitney Houston verschwendete. Vor allen Dingen war sie dünner.
Es stellte sich bald heraus, daß es die Sorte Party war, auf der man sich am besten schnell betrinkt. Ich saß gerade vor dem Fernseher, als die ersten Gäste kamen, den Apparat ausschalteten und mit ihrer Invasion jegliches intellektuelle Leben in der Bude töteten. Ein Typ mit Schnauzbart und Jogginganzug entdeckte mit radikaler Begeisterung einen Phallus aus Wachs, der in einer Wohnung, wie Gabi sie hatte, im Wohnzimmerregal stand.
Unschwer zu erraten, welches Thema die nächsten zwei Stunden beherrschen sollte. Da sich aber niemand fand, der sich das Ding von ihm einführen lassen wollte, wurde die Stimmung zusehends aggressiver. Plötzlich erinnerte man sich an alte, unbezahlte Rechnungen.
Dieter sagte zu Gabi, sie solle nicht immer so´n Scheiß erzählen, darauf sagte Gabi, das würde aber stimmen, der Manni könne das bezeugen, darauf sagte die Lady mit dem knusperigen Gesicht, daß sie sogar dabei war, damals, darauf sagte Dieter, sie solle sich mal schön da raus halten, darauf sagten die beiden Freunde von Dieter, die bislang noch nicht soviel gesagt hatten, Dieter solle sie doch in Ruhe lassen, darauf sagte die selbständige Nicole aus dem Nagelstudio, es wäre ja auch alles gar nicht so wichtig, darauf sagte Dieter wieso denn, natürlich wäre das wichtig, darauf sagte Gabi, Dieter wär ja eh besoffen und morgen würde ihm das alles leid tun.
So wie mir. Ich war mir sicher, daß ich mal wieder zur falschen Zeit am falschen Ort war und ließ mich wenig später, kurz nachdem das Furzkissen durch die Gegend flog, von Jutta nach Hause fahren. Wir sahen uns nie wieder.
Schade eigentlich. Sie hatte wirklich schöne Haare! Eine Mähne, voll und glänzend, wie bei einem guten Pferd. Wenn man ihr das Gesicht zuhielt, konnte man augenblicklich an Kim Wilde denken und das ist doch auch schon mal was.
Kim Wilde war nämlich ein paar frühe Fotos lang ein wirklich hübsches Persönchen. Kim Wilde, das war die Tiger-Lilly der frühen 80er. Ihr Schmollmund auf der Suche nach Liebe hinterließ das Schlachtfeld voller Tempos, Kleenex und kollektivem Lendenzucken und dieser unverschämt laszive "Bitte langsam auffressen"-Blick tötete sofort jeden Zweifel daran, daß Onanie auf Dauer schädlich sein könnte. Ihre größten Hits finden sich heute auf den Grabbeltischen von Media-Märkten, Videotheken und sonstigen Szene-Treffs, zwanzig Stück zum Preis von zehn. Kann man machen, muß man aber nicht. Denn oder weil nur der oder die, die oder der ihre erste LP hat oder kauft, der oder, meine Fresse, was für ein bescheuerter Satz, kann sich die Hose ausziehen und auf das schöne Foto schauen. Kim vorne, wie sie mit zarten Fingerchen das internationale Zeichen für "Wurzelbehandlung" macht, im Hintergrund ein paar seelenlose, unwichtige Männer im Halbdunkel, nicht die erste Band, die Marty Wilde (Kim´s Vater) zusammengestellt hatte.
Auf ihrem Debut befinden sich neben allerhand Noppes auch die drei Erfolge Kids In America, Chequered Love und Water On Glass, allesamt Manifeste einer rebellischen Jugend zwischen Star Wars und Kellogs Frosties. Plastik-Pop mit Alu-Felgen. Ab da fing´s an, scheiße zu werden, doch diese Platte kam glücklicherweise noch früh genug, um die Abneigung gegen das Tanzen für mich zu entdecken. Die blöden Einser-, Zweier- und Dreier-Schreiber hotteten sich auf Klassenfeten zu Kids In America die Stelzen blutig, während ich mehr der Steppenwolf war, cool in der Ecke stand und die Lage checkte. So mußte ich zwar manch kühnen Schweißausbruch entbehren, dafür hielten meine Schuhe länger.
Heute ist es genau andersrum. Ich bin ein richtiger Nachtvogel geworden! Nachdem ich lange damit experimentiert hatte, kenne ich nun das Tanzen und weiß, was es aus erwachsenen Menschen macht. Es fängt bei zwei Promille an, dreht 4,8 Pirouetten und endet mit einem Sidestep zur Theke. Echt super. Das dumme ist nur: Wenn ich tanze, tanzt kein anderer mehr. Die Weicheier haben Angst, daß ich ihnen die Vorfahrt klau, einen Crash baue und ihre Karrosserie verbeule. Kann schon sein, daß mich das kränkt. Kann auch sein, daß das rein gar nichts mehr mit Kim Wilde zu tun hat und von daher sowieso keine Sau interessiert.
Du sagst: Die Welt benötigt Brot, keine Monologe. Na schön. Um das Hitpotential von Frollein Wilde zu entdecken, braucht man sich sowieso nur die Platte anzukucken.

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