DR. FEELGOOD
AS IT HAPPENS
(GB 1979)

Der Orwell Schorsch muß ja so´n richtig fiesen Möpp gewesen sein. Ein chronischer Pessimist, der ewig am Nörgeln war. Aufrichtig und verbissen hatte er uns vor 1984 gewarnt, aber Det Grbatzki feierte auch in diesem Jahr seinen Geburtstag, als wär nie was gewesen.
Die Sonne schien und die Polizei putzte ihre Autos. Zur Feier des Tages trafen wir uns bei Sepp im Kinderzimmer und checkten unsere Vorräte. Lambrusco, Wermut, Tabak - alles im grünen Bereich. In die 2-Liter-Keule Bauernwein mußten wir allerdings noch ein paar Tassen Zucker schütten, da niemand von uns auf so lausige Art seinen Geschmackssinn verlieren wollte. Man kannte das Dilemma schon aus Louis De Funes´ Klassiker Brust oder Keule, einem der besten Streifenstreifen des intellektuellen Filmfilms.
Nachdem wir bei Sepp vollgetankt hatten, latschten wir mit allen Mann schon ziemlich betüddelt zum sogenannten UZ-Fest. Damals organisierte die kommunistische Partei noch regelmäßig große Jugendfestivals am Wedaustadion, zu denen alle Parkas der Stadt herzlich eingeladen waren. Kapital war nicht so wichtig. Für ein paar Kröten konnte man Wassersuppe aus Ungarn, Hafer aus der Ukraine oder Brotkruste aus Bulgarien futtern - mal was anderes als Knäckebrot. Dazu spielten dann entweder Franz K, Klaus Lage, Ina Deter oder Inga Rumpf für flau, meistens aber alle auf einmal. Große Klasse! Weit und breit keine Punker mit ihren störenden Eigenschaften - nur Jeans und Parka und alle kein Bock auf Krieg mit den Russen.
Wir waren schon damals ziemlich united drauf und erfuhren schnell, was für ein beschissenes Gefühl das ist. Heute ist man reifer, weiß über alles Bescheid und verliert jeden Tag vierhundert Haare.
Schade eigentlich. So Haare sind ja nichts Schlechtes. Haare Rama, wie der Lateiner sagt. Ich hatte früher sogar selber welche. Ich! Vorne! Aus eigener Zucht!
Aber zurück zu den roten Mongolenhorden. Genug gestärkt von Borschtsch und roter Propaganda zogen wir mit dem ganzen Trupp weiter Richtung City. Dort war für diesen Abend die Riesensause angekündigt. Dort sollten im Bierdorf Dr. Feelgood aus dem kommunistischen London spielen.
Aus Düsseldorf kamen sogar zwei eigens gecharterte Reisebusse von "Tünnes & Scheel-Tours" mit einer Hundertschaft ZZ Top-Fans angejuckelt, was nicht verwundert, da beide Gruppen in Englisch singen. Der Rest des Publikums bestand aus Trinkern, Rauchern und anderen gesunden Menschen. Als die Band dann damit anfing, ihren Mörderbeat unter´s Volk zu pusten, flog in nullkommanix die Kuh und mir wurde feucht vor lauter Euter. Der ganze Stall wippte, als hinge er an einer überdimensionalen Melkmaschine. Die Stimmung war gut. Damals war auch Ferdi noch stets mit von der Partie, ein ulkiger Zweizentnerbrocken, der unsere Belegschaft fast täglich mit seiner Anwesenheit erfreute. Ein gerngesehener Gast, der an einem eigenen Way of Life arbeitete.
Er war auch derjenige, der bei gemütlichen Drink-Ins im Wohnzimmer immer in seine Wodkaflasche rotzte, damit da keiner ranging, während er auf dem Klo zugange war.
Ferdi stand für Spaß wie Pattex für Komponentenkleber, aber er blieb stets anständig dabei. Beim Mattes in geselliger Runde lüftete er plötzlich seinen Hosenlatz, holte den Löres raus und fragte höflich: "Stört es jemanden, wenn ich wichse?"
Natürlich ist so einer auch der einzige Mensch der Welt, der sich beim Spazierengehen das Ohr verletzt. Da er als Weinkenner nunmal des öfteren Schlagseite hatte, schrammte er sich eines Tages an einer Mauer den Löffel blutig. Doch irgendwann, kurz nachdem Ferdi in ´ner Kokskneipe keck meinte "ich zahlen? Arschlecken!" brach der Kontakt zu dem grün und blau geprügelten Schlingel ab. Man trifft ihn, so sagt die Legende, heute eigentlich nur noch in einschlägigen Parfumerien oder zuhause vor der Glotze hinter der Bierflasche in der Jogginghose neben der...ähm... Lebensabschnittsgefährtin auf der Couch unter dem Blondie-Poster.
Seine Jugend allerdings hatte er noch dazu genutzt, sich einen eigentümlichen Tanzstil anzueignen. Mit dem Resultat, daß Ferdi seit jenem Abend einsamer Rekordhalter ist: Bei Dr. Feelgood flog er nach etwa 20 Sekunden (!) raus, weil ihn beim Windmühlenarmschlag eine Salatschüssel vom Oberober in die Quere kam. Als Dressing gab es Every Kind Of Vice vom Doc höchstselbst. Leider wohnt Lee Brilleaux ja seit ein paar Jahren wegen eines Todesfalls in der Kiste, damals allerdings machte der Sänger noch einen recht vitalen Eindruck und definierte mit seinem starren Blick, der festgewachsenen Kippe in der zuckenden Hand und einer Röhre aus ´ner Arbeiterstadt das Leben, wie es wirklich ist: Alkohol, abhauende Frauen und viel Rauch um alles. Lee selbst hat das vor langer Zeit mal so beschrieben: "1. Das Mädchen ist wunderschön, 2. Sie ist nicht Deins, 3. Du willst sie trotzdem haben."
Charakterlich vielleicht kein schöner Zug, aber Fisch muß schwimmen, wie man so schön sagt. Schwul war er jedenfalls nicht. Wie denn auch? Seine damalige Band bestand in erster Linie aus Gesichtsbaracken und schöne, fremde Männer gibt´s nur bei Connie Francis. Trotzdem. Dr. Feelgood waren knuffige Typen. Am drolligsten war der Brecher an der Blechtrommel, ein Speckknubbel namens "The Big Figure". Ich hab ihn immer dafür geliebt, daß er so aussah wie ein 50jähriger Baggerfahrer. Sowas ist im Rock´n´Roll einfach glaubwürdig. O.k., vielleicht nicht gerade die Super Wörkingklasse, aber immerhin wörking. Und gar nicht mal so unwichtig! Dr. Feelgood lebten ja nicht zuletzt von ihrer beinharten Rhythmik und da kann man so´n Trommler schon mal für loben.
As It Happens beinhaltet Liveaufnahmen von 79, nahezu alle Klopper und als Zugabe noch eine EP mit den Zugaben. Da ist dann auch die ultimative Version von Great Balls Of Fire drauf. Dr. Feelgood war damals schon ´ne Brezelfabrik und wurde wegen ihrer enormen Power auch glatt als "Punkband" vermarktet. Totaler Noppes. Vermutlich gab es aber für grundgütigen, harten Rhythm´n´Blues kein anderes Etikett in jenen Tagen, aber sowas ist dann eben Pech.
Angeblich gibt es Dr. Feelgood noch, weil ja jeder außer Jesus und Keith Richards irgendwie austauschbar ist, was dann wohl auch für so´n toten Sänger gilt. Ich persönlich bin da ganz anderer Meinung. Und deshalb geh ich beim nächsten Konzert von denen auch da hin und trink aus Trotz nur Milch statt Alkohol.

|| nach oben