RODGAU MONOTONES
VOLLE LOTTE
(BRD 1984)

1984 war das Jahr, vor dem gewarnt wurde. Als es dann da war, wußte ich auch warum. Es waren die schlimmsten zwölf Monate der Musikgeschichte. Ein Heuler jagte den nächsten und man kam gar nicht mehr raus aus dem Tal der Tränen. Passend dazu hatte ich kurz zuvor meine Freundin durch einen tragischen Unfall verloren: Sie wollte sich "selbst verwirklichen", mit 19!
1984 war ein rundum so beschissenes Jahr, daß selbst die in jenen Tagen erschienene dritte LP der Rodgau Monotones das Elend nur noch örtlich betäuben konnte. Volle Lotte auf Rockport Records, mit bedruckter Innentasche zum Vollpreis. Eine Platte, die auch in Duisburg-Süd wie eine Bombe einschlug und sowohl U.K. Subs als auch Jethro Tull für einen Sommer aus der Hit-Rotation in Schulzis Auto-Kassettenrekorder verdrängen konnte. Nun, wie konnte es soweit kommen?
Wir waren angry young Männer, ich glaube sogar, die angrygsten und youngsten von allen, und diese Platte sprach mit uns. Ein kurzer Blick ins Inhaltsverzeichnis: Es geht um Partys, Baggerseen und scheiß Computer, die -das wußte man damals schon- ganz böse Jobkiller sind. Unter den für deutsche Verhältnisse recht undeutschen Texten erschaufelte sich das fröhliche Sextett einen würzigen Südstaatenwolf, der zwar animalisch losrockte, aber für undeutsche Verhältnisse widerum zu deutsch klang.
Die perfekte Produktion ließ auf Sauberkeit schließen. So hören wir Soldaten des Rock gerade auf dieser und der darauf folgenden LP Wir seh´n uns vor Gericht einen knackigen Breitwandsound mit einer edel knallenden Snare, just so, wie es wenig später von ZZ Top übernommen und zu Geld gemacht wurde. Kein Wunder also, daß uns der proppere Gutzeit-Rock der Rodgaus (so nennen sie die Fans) auch auf zahlreichen Konzerten schwer begeistern konnte. Ich sag nur: 4. Oktober 84, 20 Uhr, Zeche Bochum.
Vor einem ausverkauften Publikum legten die sympathischen Hessen eine Show hin, für die es keine Worte gibt. Flankiert von ihren beiden coolen Leadgitarristen Ali Neander und Raimund Salg planierte uns der Rock-Traktor die zugigen Schnuten, die offen standen wie ein Kuhstall in Kentucky und vor lauter Lust am Leben verstärkt nach Luft schnappten. Ich schwitzte mir die Kimme naß (Gewöhnungssache) und rechnete mit baldigem Herzinfarkt (Premiere). Um keinen Pop-Tod ihrer Fans zu riskieren, sorgten die Chefs für Volksgesundheit, in dem sie immer mal ein nettes Ballädchen in die hitzige Schlacht warfen. Auf Volle Lotte war es Normale Härte, ein Lied, das Härte beschreibt, die normal ist.
Als sich dieses Stück in Bochum den Auslaufakkorden näherte, war aber die Stimmung nicht weniger explosiv als bei den Pogo-ähnlichen Dancestücken und die Rodgaus mußten einsehen, daß sie im Großen und Ganzen eine ziemlich gesundheitsgefährdende Band sind.
Sie spielten Is mir egal und R 4 und erneut drohte Kollaps durch Freude. Was dann geschah, steht hier: Völlig vorbereitet stellten sich die Jungs in einer Reihe an den Bühnenrand auf und machten Spökes, Comedy und Quatsch. Wir lachten artig und laut. Immer ein Zeichen dafür, daß eine Aufführung gelungen ist und man sich mag. Selbst bei nicht besonders gelungenen Passagen flatterte stets ein Rudel Bravos und Da Capos durch die Halle, paarte sich mit Juckpulver und klatschte den Jungs frontal in die Fressen. Die Band ertrug jeden Treffer mit einem heldenhaften Lächeln. Anscheinend passierte ihnen sowas öfter. Kein Wunder. Die Show hatte es in sich. Zum Beispiel wurden die Musiker vorgestellt, aber mit anderen Namen als den richtigen, die sowieso niemand kannte. So wurde der vollbärtige Sänger Peter Osterwald, Typ Peter Petrel, schlicht und ergreifend als "das Tier" vorgestellt, das prompt eine entsprechende Geste machte. Doch anstatt Angst zu kriegen, johlte das Volk vergnügt vor sich hin und ließ das Tier, das übrigens ein T-Shirt mit dem Aufdruck "nur Fliegen sind schöner" trug, sich austoben. Das Tier widerum ließ sich eine Gitarre umhängen, machte eine entsprechende Geste und schlug jede einzelne Saite so beschissen falsch an, wie ich es bislang nur von mir selber kannte. Nach jedem falschen Ton machte das Tier eine Pause (und eine entsprechende Geste) und bekam dafür von den toleranten Bochumer Zoobesuchern Applaus und Bananen.
Das Spielchen dauerte ungefähr einen halben Becher Fiege Pils lang, bis plötzlich aus dem triebhaften Gewurstel wie aus Geisterhand ein Highway To Hell wurde, das dafür, daß es von einem Tier gespielt wurde, erstaunlich wenig Dissonanzen aufwies. Dafür gingen nun die Fäuste hoch. In Windeseile wurden aus Beamtensöhnchen Easy Riders. Knallharte Jungs, denen selbst die momentan schlechte Kurvenlage nichts auszumachen schien. Auch das Tier wurde langsam zutraulich und spielte zusammen mit seinen Pflegern noch Tush, Pumuckl und Heidi im Medley. Dann machten sie Schluß, gingen von der Bühne und fuhren nach Hause. Bitteschön. So funktioniert Showbiz!
Die Freundin war natürlich immer noch futsch. Also machte ich in diesem schönen Sommer zusammen mit Zepp eine Interrail-Tour, um schonmal vier Wochen Zeit totzuschlagen. Irgendwo in Jugoslawien ist es dann passiert. Achtung: Ich erzähle diese Geschichte aus völkerverständlichen Gründen in ihrer gesamten Länge.


Der Esel und der Wolf

Es war einmal ein selbstverliebter Ich-Erzähler, der sich weit, weit weg von Zuhause für vier Wochen das Wichsen verkniff. Was ihn nicht davon abhielt, sein Tagebuch vollzusauen:
Der Wind trug uns an jenem Tage in einen Nachtzug, da es bereits dämmerte und wir voll waren wie die Haubitzen. Das Problem an Zügen schlechthin ist jedoch, daß man in den seltensten Fällen alleine reist. Auf andere Arschlöcher hatten wir aber keinen Bock. Also galt es, ein leeres Abteil zu finden, zu besetzen und gegen Eindringlinge zu verteidigen. Das mit dem Finden war schonmal kein Problem, da der Zug nach Irgendwo frisch eingesetzt wurde und jungfräulich am Gleis auf uns wartete. Mit viel Groove im Blut stolperten wir in den stählernen Koloß. Nachdem wir uns für ein Abteil entschieden hatten und sahen, daß sich auf dem Bahnsteig immer mehr Krieger in schmucker Ausgehuniform tummelten, begannen wir unverzüglich mit der strategischen Sicherung des Objektes. Wir zogen als erstes mal die Vorhänge zu, spendierten dem Kassettenrekorder einen neuen Satz Batterien und machten Disco. Eine Stunde verstrich, ohne daß sich ein Reisender gewagt hatte, unseren Boden zu betreten. Klar, dazu waren wir auch viel zu sehr auf Zack. Selbst in Situationen höchster Gefahr bewahrten wir kühlen Kopf. Zog so´n altes Muttchen mal vorwitzig die Tür auf, schrien wir sie einfach an, bölkten, grunzten und machten Geräusche wie beim Kacken.
Im Gang und auf dem Bahnsteig hingegen nahm die Zahl der Soldaten immer mehr zu. Ganz offensichtlich saßen wir mit unseren rheinischen, pazifistischen Ärschen mitten in einem Truppentransport an die Ostfront. Wir beschlossen, unsere Deckung zu stärken und kappten die Luftzufuhr.
Zum Glück hatten wir noch eine Stange von diesen widerlichen Zigarillos aus Zagreb in der Tasche, von denen wir aus gegebenem Anlaß nun einen nach dem anderen aufschmauchten. Den starken Gestank von diesem Kraut, das uns übrigens auch das Ungeziefer fernhielt, unterstützten wir, indem wir unsere Schuhe auszogen. Die dampfenden Socken waren getränkt mit linksdrehenden Käsekulturen und genauso rochen sie auch (ein Wunder, daß der Ausschlag, den wir davon bekamen, nach einer Woche wieder verschwunden war). Parallel dazu drehten wir die Null-Kommazwei-Watt-Box unseres akustischen Freundes auf zehn und schmissen unser Südstaaten-Tape in den Schacht. Dann fuhr der Zug ab.
Es sah gut aus. Niemand hatte unser Territorium erobern können. Wir feierten den Sieg mit einem guten Schluck Rotwein aus dem mit naiver Malerei bedruckten Tetra-Pak und verteilten unbürokratisch die Pennplätze für die nahe Zukunft. Dann geschah es.
Die Tür wurde aufgeschoben, eine behaarte Männerpranke zog die Vorhänge zurück, ein kantiges Gesicht mit einem Kurzhaarschnitt unter der olivfarbenen Kopfbedeckung schaute grinsend herein und rief "HEY! MOLLY HATCHET!"
Wir glotzten blöd durch den Nebel, der Kassettenrekorder dudelte The Rambler und im selben Moment hießen wir den Fremden herzlich willkommen. Wer konnte denn auch ahnen, daß ausgerechnet Petar Jamic aus Skopje vor uns stehen würde? Ein Feld-, Wald- und Wiesenheini, ein Sumpfrocker, einer von uns.
Zum Beweis spendierte er uns dreimal je zwei Brandys aus der Bordtoilette und wir kamen ins Plaudern. Jedenfalls, um die Geschichte mal zum Abschluß zu bringen, weil, ich hab auch langsam keinen Bock mehr, gipfelte das Fachsimpeln über Ronnie Van Zant, Blackfoot und der Marshall Tucker Band in Petars Frage, die sich aus heiterem Himmel mitten in der Nacht über uns ergoß: "Sagt mal, kennt Ihr auch die Rodgau Monotones?"
Uns stand die Suppe auf halb zwölf. Endlich mal einer, mit dem man sich über Musik unterhalten konnte!
Die nächsten Brandys zahlten wir.

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