CHRISTIAN ANDERS
DER UNTERGANG VON TARO TORSAY
(BRD 1973)
Wie allgemein bekannt sein dürfte, regiert weder Bush noch Supermann die Welt, sondern Liebe. Wir wissen, daß wahre Liebe selbst Gevatter Tod trotzt und daß manche Leute aus Liebe auf die Sportschau verzichten.
All das wußte Christian Anders 1973 auch schon. All das und noch viel mehr. Daher sind seine gesammelten Erkenntnisse mit viel Gefühl und Witz in das Mammut-Werk Der Untergang von Taro Torsay - Aufstieg und Fall eines Pop-Stars geflossen. Herausgekommen ist eine Rock-Oper, die mit ihrer geballten philosophischen Tiefenschärfe auch heute noch einen schalen Beigeschmack hinterläßt. Eine Rock-Oper, die auf niederschmetternde Weise aufrüttelnd ist. Eine Rock-Oper wie eine Backpfeife. Seine erste und seine letzte.
Schon möglich, daß dieses Doppelalbum in der damaligen Zeit für Verwirrung sorgte.
Wer Christian Anders nur als Schlagerfuzzi kannte, mußte sich plötzlich verwundert am Kopf kratzen und ernüchtert registrieren, zu welchen Leistungen Menschen imstande sind. Und wer Christians vokale Ausflüge in unbewohnte Gipfel der menschlichen Stimme bislang nur vom Hörensagen fürchtete, wurde angesichts der Kehlkopfakrobatik auf diesem Album augenblicklich zum bekennenden Katholiken. Doch Vorsicht! Nicht immer liegt darauf ein Segen! "Über Bibel diskutiern is null Prozent Pank, Hare Lama - mach´n Abgank!" sangen (?) schon Eisenpimmel, "ich bin verliebt in die Liebe, sie ist okay-hey für mich, ich bin verliebt in die Liebe und vielleicht auch in mich" sang (!) Chris Roberts - aber da kann ein Christian Anders nur herzlich drüber lachen. Zur Sache, Schätzchen.
Der Untergang von Taro Torsay mit großem Poster wartet mit einer imposanten Meute von Mitwirkenden auf, bestimmt vierzig, fünfzig Männer, die für Action sorgen. Wir haben es hier also tatsächlich mit Massenkultur zu tun. Sprecher, Jane, Mario Girotti und die "Stimmen des Schicksals" lockern die Zeit zwischen den Stücken durch großartige Volksunterhaltung und Rollenspiele ordentlich auf. Es geht um Taro Torsay, der auf dem Cover mit ´ner Mopedkette winkt. Ein gewaltbereiter Jeans-Typ.
Müßig zu erwähnen, daß Toro Torsay in diesem Spektakel der Gute ist. Ein aufrichtiges, knuffiges Kerlchen, das überhaupt nicht singen kann und Popstar wird, wie´s halt manchmal so ist im Leben. In einem zynischen Geschäft, einer Welt voller Gewalt und null Prozent Punkrock, das wird schnell klar. Auch daß Taro Torsay eindeutig die falschen Freunde hat, richtige Übelmänner, die sich völlig zu Recht "Spaghettis" schimpfen lassen müssen und die Taro zum Teil auch umerzieht mit seiner Faust. Vorher wird er aber erstmal selbst verkloppt von diesen Schweinen, was er auch direkt anprangert in dem Lied Violence. Recht so. ("Für alle zehn Gebote steh immer ein, sonst gibt´s am Ende Violence.")
Dann macht ihm Kitt, der Superrowdy, das Angebot, in seiner Bande einzusteigen und seinen Job in der Wäscherei an den Bügel zu hängen. "Du hast Nerven" antwortet Taro, aber "wenn Du mir Jane gibst, nur für einmal" würde er sich das nochmal überlegen und eventuell mitmachen in dem Verein. "Okay, Du kriegst sie" sagt Kitt und wieder einmal wird klar, daß nichts ohne Beziehungen läuft. Dann treffen sie sich "morgens um acht bei den Garagen" und Jane bekommt ihr erstes Liebeslied gegeigt, das ganz schön zum Nachdenken anregt, wenn man nicht gerade auf den Text achtet.
Die Geschichte entwickelt sich zu einem klassischen Drama mit Shakespeareschen Ausmaßen. Taro ist in Jane verknallt, beim Ansingen verheddert sich seine Latte im Mikrophonkabel, aber wird sie ihn erhören? Sie sagt "Taro, Du bist toll. Ich glaube, ich habe mich sogar in dich verliebt." Daß Taro ein ziemlich unsensibler Klotz ist, zählt nicht. Schließlich geht´s hier nur um eine Frau."Kann schon sein, aber du mußt jetzt gehen, ich hab zu tun." Taro, die doofe Nuß, stößt sie weg. Termine. Ein paar Rillen weiter kommt Jim Morrison mit seinen Jungs und es gibt ´ne Prügelei. Das Mädchen und die Karriere als Popsänger müssen erstmal warten. "Verdammt, Taro, das Messer!" waren Kitts letzte Worte, als er starb. So endet die erste Seite mit einem Rückblick auf einen guten Kollegen: "Er gab dir ungeschaut seine Braut, stand dir nach ihr der Sinn - er war ein Freund."
Den Rest kann man sich denken. Karriere, Sex und Mörder suchen.
Höchste Zeit, daß dieser pure Stoff endlich einmal verfilmt wird, zum Lernen für alle. Die Zutaten: Die Schlägerbranche der 70er Jahre mit all ihren Schlagertrupps, Rockern und langen, dünnen Nudeln.
Wer das Glück hat, auf dem Flohmarkt in Duisburg-Wedau diese Doppel-LP für drei Mark inklusive Aschenbecher zu ergattern, wird nicht nur mit einem edukativen Inhalt, sondern auch mit einer ansprechenden Luxus-Verpackung verwöhnt. Klapp-Cover mit eingeheftetem Textblatt und vielen Fotos, die den Schlägersänger mal ganz anders von seiner privaten Seite zeigen. Mal mit seinem Rolls Royce, mal mit seinen Segelschiffen, mal mit seiner wehrlosen Gitarre. Das beiliegende Riesenposter zeigt nochmal alle Akteure als Comic-Figuren. Kitt ist dabei ("Verdammt, Taro, das Messer!"), ferner eine zwielichte Person mit einer Sprechblase ("Du bist also Pedro Saticelli!") und ein Rolls Royce, der einen Unfall baut und Jane zermatscht.
Mal ehrlich: Soviel Sinn für Dramatik hat man dem guten Christian gar nicht zugetraut. Obwohl seine damaligen Hits aus dem Tragödienstadl bereits dezente Hinweise geliefert hatten. Züge, die nach Nirgendwo fahren, zeugen in der Regel nicht von besonders großer Fröhlichkeit, vom Rest seines Repertoires ganz zu schweigen. Steckte da letzten Endes gar Kalkül dahinter? Nicht nur, daß all seine Lieder von einer abgrundtiefen Traurigkeit und Sehnsucht erfüllt waren - sie fanden auch in einem abgrundtief traurigen Stimmchen ein adäquates Sprach- und Singrohr.
Logisch, daß so einer in den 90er Jahren zum Esoteriker wird und sich nackt an einen Zaun fesselt, um seine Plattenverkäufe anzukurbeln. Ich sah´s mit Wohlwollen. Lange Haare o.k., aber gepflegt müssen sie sein. Das selbe gilt natürlich für lange Schwänze.
Und obwohl Taro sicherlich beides hatte, wurde die Platte mit zunehmender Dauer zu einem Sicherheitsrisiko für Mensch und Maschine. Der Grund: Unter dem Pseudonym Taro Torsay piept sich Christian Anders auf dieser Platte auch durch obskure Versionen alter Evergreens wie In Chicago und Johnny Be Goode, die den Untergang des Popstars letztendlich auch irgendwie nachvollziehbar machen.