UDO LINDENBERG
SISTER KING KONG
(BRD 1976)

In meinen Therapiestunden begegnen mir ab und zu doch tatsächlich Leute, die noch jünger sind als ich! Im Wartezimmer von Dr. Peters kommt man dann manchmal in´s Reden. Was mich betrifft, am liebsten über Musik. Musik kann ja etwas sehr Schönes sein. Kann. Muß aber nicht. Wenn man zum Beispiel von Udo Lindenberg schwärmt und seine Freizeit dazu nutzen möchte, noch ein paar Jünger für den Fan-Club zu rekrutieren, stellt man schnell fest, daß Gemüse unter 30 diesem Rock-Gott eher negativ gesonnen ist. Wofür ich vollstes Verständnis habe, wenn man rechtsradikal ist oder Papst.
Wundern muß ich mich allerdings über die Regierung, die dem guten Udo partout kein Denkmal bauen will. Weiß sie etwa nicht, wieviele Orgien des Schocks unsere "Nachtigall" (O-Ton U-Do) inszeniert hat? Wieviele Lieder gegen Langeweile, sexuelle Einsamkeit und Spießer es von ihm gibt? Wie sehr er sich für die Unterdrückten (Frauen, Schwule, Zonis, Leute aus der Action-Abteilung) eingesetzt hat? Das wird der Regierung noch leid tun, eines Tages. Und den jungen Leuten sowieso.
Es wäre wirklich besser, sie würden sich nicht selber Gedanken machen, sondern auch mal hören, was andere sagen. Erst recht, wenn diese anderen älter sind. Da haben wir Senioren ein Recht drauf! Und das ist ja wohl das mindeste, was man verlangen kann, wenn schon im Bus keiner mehr Platz macht!
Udo ist auch alt. Selbst, als er noch jung war, war sein Gesicht schon ein Abziehbild eines versiebten Lebens. Von Gronau in Westfalen aus startete Udo in Hamburg seine Karriere in Rock. Er trommelte bei Klaus Doldinger und auch bei Atlantis, die ja mal -wir erinnern uns alle- 1973 in den Staaten im Vorprogramm von Lynyrd Skynyrd den Ketchups ordentlich einheizten. Dann tat Udo das einzig richtige: Er machte sich solo und zog aus seinem erschütternden Haar Dutzende Halligalli-Hits: Andrea Doria, Rudi Ratlos, Jonny Controlletti, Bodo Ballermann und so weiter und so fort. Man könnte auch seine komplette Discographie der 70er Jahre aufführen - jeder Song, und das ist ausnahmsweise keine Floskel, strotzte vor animalischem Rock und lyrischen Ergüssen der Spitzenklasse. Selbstironisch, kritisch, witzig und kreativ - meist alles zusammen. Udo war nicht nur der Meister im "Ungesang", sondern auch Erfinder, Wortführer und Wegbereiter einer völlig eigenständigen Jugendsprache. Die viele für "aufgesetzt" halten, ich weiß.
Auf seinen Frühwerken pendelte er elegant zwischen Komik-Figuren wie Gene Galaxo, Elli Pirelli, Tom Tonk, Gerhard Gösebrecht und eher melancholischen Songs über´s Abhauen und Rauchen. Der Film Nordsee ist Mordsee mußte gedreht werden, um die Gemütslage einer verwahrlosten Jugend zu dokumentieren. Er enthält nicht nur die Filmmusik von Udo, sondern auch gleich die Essenz aller seiner Aussagen: Alles scheiße hier (aber Kopf hoch, Baby, wir sind das Power-Team)!
Udo kam an bei den Kids, und das nicht nur deshalb, weil er laufend dort hinfuhr. Die permanente Hochspannung (Konzerte in heißen Randale-Sälen und sexuelle Spezial-Therapien von den Flexibel-Betrieben) zog auch ihn in die Gosse und Lady Whisky wurde seine beste Freundin. Von Alkohol und Hühnersuppe aufgedunsen und gelangweilt vom Ficken nahm der Goliath des Deutsch-Rocks 1976 gleich zwei seiner besten Platten auf: Galaxo Gang und Sister King Kong. Auf dem Cover hängt Udo zwar noch locker in den Seilen, was ihn aber nicht daran hinderte, im Ring zehn hochkarätige Runden zu boxen. Herausgekommen sind Songs, die man nie wieder vergißt. Alle im benebelten, aber geistig wachen Zustand geschrieben und mit einem ultradrogenbehafteten Sex-Rock grundiert. Also so, wie sich zumindest Udo selbst am liebsten sah. Sister King Kong heißt die Platte, die das komplette Image von Udo Lindenberg zementiert wie die Mafia ihre Gegner. Lasziv, dröge und von einer gewissen, abgestandenen Reife geküßt. Und manchmal etwas abgedreht, wie es sich für einen guten Rocker aus Hamburg gehörte. Rätselhaftes Bielefeld und Der Teufel ist los handeln vom wilden, schmackhaften Kirchen-Sex (teils mit Romy Haag als Nudelrolle), Udo On The Rocks ist ein weiterer udopischer Science-Fiction-Keks mit erstaunlicher Trefferquote und Satellit City Fighter das akustische Bühnenbild für den bereits erwähnten Mordsee-Thriller. Wenn Udo auf dieser Platte rockt, bollert es eher träge und erektiv wie ´ne neverending Latte, zwar nicht jedermann´s Sache, aber schaden tut´s auch nicht.
Ich persönlich handel zum Beispiel Emanuell Flippmann und die Randale Söhne auch heute noch gerne als den Vorläufer des Grunge. Auch Jenny rockt wie Lava, aber Jenny enthält die wichtigen Zeilen "...eigentlich hat Flüchten auch kein´ Zweck, wir könnten zwar los, auf never come back, doch die Schule ändern, das wär der Gag".
Und was passiert ein paar Jahre später? Die Kultusminister beschließen im Foyer der Grugahalle während eines Lindenberg-Konzerts die Einführung der Gesamtschule und die Todesstrafe für Mengenlehre. Ab da war klar: Udo mußte Kanzler werden und im Film Panische Zeiten, einer brillianten Klamotte auf unterem Klimbim-Niveau, wurde er das auch. Panische Zeiten ist bis heute mein liebster politischer Film geblieben, was wohl für mein hohes Level spricht.
Doch in erster Linie war Udo ein "flatterhafter Lotterlulch" (noch´n Zitat), was ihn nicht davon abhielt, in dem Manifest Meine erste Liebe schonungslos und wohlformuliert ("...es war utopisch erektiv, als ich das erste mal mit dir schlief") über besagtes Thema herzzubrechen. Leise, anmutig und auf allen Seiten offen. Mitfühlen ist angesagt, denn welch armer Knilch ist noch nicht von seiner Ollen ob seines "Flippertums" feste in den Arsch getreten worden? Ausnahmen haben ihre Regeln, und genau darum geht es im furiosen Schlußakt dieser Granate, als er seine Ex nach Jahren zufällig wiedertrifft: "Wir reden ein paar Takte, doch du hast nur noch Smalltalk drauf. Und dein Modekaspar fordert dich zum Weiterschlendern auf. Du bist mir unheimlich fremd und ich bin so komisch berührt. Und es ist wie Nostalgiekino und der Film wird nochmal vorgeführt. Es schmerzt ein bißchen, ich seh dein Gesicht ist vom Spießertran gezeichnet, und als Droge bist du leider überhaupt nicht mehr geeignet."
Japs. Hat irgendeine von den schonungslosen Punkbands je etwas so Schönes geschrieben?
Bestimmt, aber das will ich gar nicht wissen.

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