THE STRANGLERS
BLACK AND WHITE
(GB 1978)
Die Stranglers galten nicht nur als gefährlich, sie sahen auch noch bescheuert aus. Selbst wohlwollend betrachtet waren sie noch schäbiger als die Kursaal Flyers, falls das überhaupt noch eine Rolle spielt.
Und das Elend war groß. In ihren unappetitlichen Gesichtern wucherten munter Schnauz- und Vollbärte, ihre Klamotten spotteten jeder Altkleidersammlung und bei einem wichtigen TV-Auftritt im ZDF spuckten die Brutalschocker in die Kamera. Die Presse, allen voran das Musik-Fachblatt Bravo, war empört und grenzte sich völlig zu Recht von den aggressiven Rabauken ab, in dem es sich auf die Seite der richtigen Punks wie Plastic Bertrand oder Scorpions stellte. Vergammelte Typen okay - aber gepflegt mußten sie sein. Und das war bei den Stranglers so eine Sache. Während einer Promotion-Tour in Island (!) ließen sie sich zu exzessiven Gewaltorgien hinreißen, in der berechtigten Hoffnung, daß sich irgendein Reporter schon drüber aufregen würde. Es war unübersehbar, daß die Stranglers keine allzu große Lust dazu verspürten, im Rock´n´Roll-Zirkus nur Pausenclowns zu sein. Verhaftungen in Nizza und häßliche Stripperinnen bei den wenigen Live-Shows, die sie bis zum Ende spielen durften, taten ihr übriges, den Ruf dieser Band nachhaltig zu beschädigen. Nicht umsonst hatte sich auf dem Logo der Band eine Ratte verirrt. Nicht umsonst nannten sich so´n paar Jungs mirnix dirnix "Die Würger". Ob´s am Zeitgeist lag?
1978 war kein gutes Jahr für Petting. Das Anprangern von Mißständen war angesagt. Arbeitlosenscheiße, Hungerscheiße, Bombenscheiße und Atomdingens, also genau die Themen, über die sich kein normaler Mensch mehr aufregt. Na schön, immerhin bekam die Jugend endlich ein Ventil, also genaugenommen natürlich mehrere, also nicht eins für alle, sondern für jeden eins, ehrlich, das waren hunderte, da kam ganz schön was zusammen, ich mein, was wollte ich überhaupt sagen? Ach ja: Jedenfalls standen die Stranglers stellvertretend für die ganze Scheiße, die in jedem von uns steckt. Und genau so klangen sie auch.
Black And White war ihre dritte Platte. Sie war, was das Cover schon dezent andeutet, noch schwärzer, noch destruktiver und noch viel toter als ihre Vorgänger Rattus Norvegicus und No More Heroes. Letztere hab ich übrigens auch mal besessen, ich Held. Doch dann brachte die Indie-Gruppe Foreigner ihre Platte 4 heraus und so tauschte ich mit Martin Dupka Leben gegen Tod. Auf dem Schulhof dachte ich noch, ich hätte damit ´n großen Fisch ans Land gezogen, doch zuhause lauste mich der Affe. Was niemand vermutet hatte, wurde plötzlich zur knisternden Gefahr: Die Foreigner-Platte war ganz große Scheiße.
Zwei Tage später fand ich zum Glück ´n Dummen, mit dem ich die Foreigner-Platte blitztauschen konnte. Immerhin: Jetzt hatte ich ´ne Passport-LP! Die war aber auch nicht der wahre Jakob und so ging ich zu dem frisch verliebten Foreigner-LP-Besitzer hin und gab ihm gegen die Erstattung von zwei Mark Bearbeitungsgebühr die Passport-Platte zurück. Davon kaufte ich mir ´ne Portion Pommes und verfluchte kauend den Kapitalismus.
Meine Karriere als Solo-Künstler verzeichnete währenddessen große Fortschritte. Ich arbeitete in meinem Kinderzimmer gerade an meiner dritten Solo-MC. Die ersten beiden Kassetten, das muß ich leider so deutlich sagen, waren Flops. Vermutlich waren meine Klang-Collagen aus dem Radio, aus der Keksdose und aus meiner Mutter ("Wat machz Du denn hier für´n Quatsch? Getz räum bloß Dein Zimmer auf!") zu anspruchsvoll für ein breites Publikum.
Nun wollte ich mit der dritten Produktion zu meinen Wurzeln zurückkehren. Mir schwebte da eine Balance aus anspruchsvoller, progressiver Rockmusik und guten Arrangements vor. Ich spielte sogar mit dem bizarren Gedanken, dafür extra Songs zu schreiben und somit die lockere Improvisationsschiene etwas zu verlassen. Es lief auf ein Konzeptalbum über aktuelle Themen hinaus. Also Lieder über Klassenkameraden wie Dödel, Drahti und Fotzengesicht. Da ich um die dreißig Mitschüler hatte, sollte es auch gleich ein Doppelalbum werden, eine Original Agfa C 90. Mein Größenwahn kannte keine Grenzen. Ich überlegte ernsthaft, ob ich diesmal sogar richtige Instrumente zu verwenden sollte. Diverse Gerätschaften waren durchaus vorhanden. Meine Schwester hatte ein Kinderklavier, mein Bruder eine Kindergitarre und ich war ja seit meiner Konfirmation im Besitz einer Original Farfisa Nicole-Heimorgel mit so komischen Tasten und Knöppen dran.
Ganze drei Monate arbeitete ich meinem Meisterwerk. Immer, wenn die Eltern, mein Bruder, die Schwester und die Nachbarn nicht zuhause waren, warf ich meine Bandmaschine, einen Nordmende-Kassettenrekorder mit eingebautem Mikrophon an und machte eine Menge lustiger Geräusche. Als die Platte fertig war, war mir sofort bewußt, daß ich da einen Klassiker erschaffen hatte, in etwa vergleichbar mit London Calling, nur besser natürlich. Die Reaktion meiner Fans war überwältigend. Bereits am Erscheinungstag war die Startauflage von 1 restlos ausverkauft und ich mußte nachkopieren. Die Kopie bekam meine Freundin, die sich mit dem Künstler solidarisch erklärte und es "irgendwie süß" fand, was ihr Schnuckel da so trieb. Später mußte ich dann leider zur Bundeswehr und bekam, remember Achim Reichel und Elvis, einen Karriereknick, aber auch endlich einen vernünftigen Haarschnitt.
Wenn ich mich jetzt, rund zwanzig Jahre später, trauen würde, mir die ganze Scheiße nochmal anzuhören, käme ich wohl auf ein unzweideutiges Ergebnis: Gesang und Toilette united. Ich hatte mit sonorer Stimme und (wenn überhaupt) leichter Betonung auf der letzten Zeilensilbe so ziemlich jedes Lied kaputtgesprochen. Was bei den Stranglers stets so prächtig funktionierte, ging bei mir gründlich auf den Sack.
War es was persönliches oder lag´s daran, daß ich keinen Baß hatte? Jean Jaques Burnel hatte ja einen, also 0:1 in der ersten Minute. Und was war das für ein Baß! Hohl, verzerrt, schön in den Vordergrund gemixt, damit die plötzlich auftretenden Orgeleien nicht allzu sehr nervten. Ich hörte, sah und klebte ein Foto von Jean Jacques auf mein Schüler-Ringbuch. Auf dem Foto spielt er mit einer blonden, nackten Schönheit selber nackt in der Badewanne mit ahnungslosen Gummitieren. Ich war zwar noch jung, aber mir war damals schon klar, daß ich eines Tages auch so ein schönes gelbes Entchen haben würde. Die Zeit verging und heute hab ich nichtmal mehr ´ne Badewanne.
Egal, Hauptsache, die Platten stehen im Schrank und Frauchen bringt ein kühles Bier. Black And White hab ich immer noch. Alles andere hätte auch keinen Sinn gemacht. Hier sind dir Hits zuhause! Nice´n´Sleazy, Death And Night And Blood, Curfew und natürlich das epische Toiler On The Sea, von dem ich gar nicht weiß, was episch überhaupt bedeutet. Danach ging´s mit den bösen Buben jedoch schwer bergab. Aus den einstigen Würgern wurden handzahme Halsgrabbler, die mit Always The Sun und Golden Brown zwar schöne, aber gleichermaßen charakterlose Riesenbabys zeugten. Da diese Marotte aber in der Natur eines jeden guten Mannes über 30 liegt, beantrage ich in diesem Fall Freispruch.