SEX PISTOLS
NEVER MIND THE BOLLOCKS
(GB 1977)

Wenn Sie glauben, ich kann den zahlreichen Kapiteln, die sich um die SEX PISTOLS ranken, noch ein weiteres hinzufügen, täuschen Sie sich. Ich habe wirklich keine Ahnung, wie das funktionieren soll. Natürlich könnte ich darüber berichten, daß wir die SEX PISTOLS direkt nach ihrem Erscheinen im Musikunterricht ganz schön auseinandergenommen haben und daß mich ihre Single "Anarchy In The U.K." zum Punk gebracht hat, aber das wäre EMERSON, LAKE & PALMER gegenüber unfair. Sicher, die SEX PISTOLS waren mehr als ein Haufen brillianter Anti-Musiker, aber die einzigen, die ihren Beruf wirklich ernst nahmen, waren Malcolm McLaren und Produzent Chris Thomas. Bei allen Verdiensten, die man der Band und ihrem Umfeld im pophistorischen Kontext anrechnen darf, ist der interessanteste kulturelle Auswurf das famose Buch von John Lydon.
Dennoch: Das Jahr 1977 trägt ihre Fingerabdrücke.
Zur gleichen Zeit, als die Feierlichkeiten zu Ehren der königlichen Jubiläumswoche stattfanden, fuhren die SEX PISTOLS auf einem Boot mit einem Haufen geladener Gäste das Themse-Ufer ab, um Staatsorgane und Touristen mit Punkrock und Reggae zu beschallen. Die Wasserschutzpolizei tauchte auf, es gab Schlägereien, die üblichen Festnahmen und die vernünftige Presse für eine Punk-Band.
Fast zwanzig Jahre später sind es genau diese Ereignisse, die mir durch den Kopf schossen, als ich eine Einladung erhielt, auf der folgender Text stand:
"Die Punk-Rock-Combo THE BULLOCKS
präsentiert ihre neue CD
auf dem Traumschiff MS Maria-Franziska."
Das Schiff sollte dicht am Rheinufer an der Düsseldorfer Altstadt entlangschwappen, direkt vor der Promenade, von wo aus der Pott mit einem Schuß zu treffen wäre. Spießer und Langweiler an Land würden sich empören, herumspucken und in Wirklichkeit nur neidisch sein. So wie damals.
Da waren sie, die ganzen Mütter mit ihrem Softeis, die Väter mit dem dicken Portemonnaie, und all die einsamen Männer in ihren toten Hosen. Ich sah auf den ersten Blick, daß wir in diesem Spiel die Guten waren. Immerhin hatten wir uns für den eindeutig cooleren Way of evening entschieden. An Bord gab es Alkohol und Toiletten, höchst liebenswerte Gestalten und falls es ein Privileg sein sollte, sich auf dem Wasser aufzuhalten, nehm ich das auch noch. Wir befanden uns im 19. Teil unserer Chronologie ewig währender Punkrock-Sommer, uns konnte man nichts mehr erzählen. Ich wünschte mir nur, daß die BULLOCKS an Deck mit ihrem melodischen, schnellen und vor allem altmodischen Punkrock aus überdimensionalen Boxen halb Nordrhein-Westfalen beschallen würden und niemanden mit musikalischen Innovationen verwirren. Man kann zu der Band stehen, wie man will, aber das versprach gepflegte Unterhaltung.
Was dann tatsächlich geschah, ist schnell erzählt. Die BULLOCKS spielten melodisch, schnell und vor allem altmodisch, die Boxen beschallten Teile des Rheinufers und die Leute auf dem Festland nahmen das auch sehr wohl wahr. But I´m sorry, Mister Vicious, die Zeiten haben sich geändert. Anstatt uns mit Popel und Scheiße zu beschmeißen, winkten uns die Penner zu und freuten sich, daß die Party auf dem Schiff offensichtlich so gut abging.
Mann, das war echt ernüchternd. Es gab keinen Skandal, keine Randale und auch die CD der BULLOCKS war in Ordnung. Alles in allem ein Abend zum Genießen.
Dummerweise nahmen wir die falsche Straßenbahn nach Hause und landeten in einer Endstation in der Nähe von Kleingarnichts. Es mag seinen Reiz haben, mit einem Haufen besoffener Duisburger mitten in der Gegend herumzustehen, wenn man noch "schnell zu Renate, einen saufen" will und nicht von der Stelle kommt. Aber wenn Sie glauben, daß ich jetzt den zahlreichen Kapiteln, die sich um die Freuden betrunkener Menschen ranken, noch ein weiteres hinzufügen kann, täuschen Sie sich schon wieder.

|| nach oben