V.A.
ÖSTERREICH
(BRD 1987)

Man kann von EDDIE & THE HOT RODS halten, was man will, aber keine andere Band hat Fans, die zur Coverversion von "Born To Be Wild" Pogo tanzen.
Vielleicht sind GRAND FUNK RAILROAD wirklich schlechter als die BEATLES, aber sie konnten alle sehr gut Motorrad fahren.
Schon vergessen, daß ATLANTA RHYTHM SECTION all die Stadien, in denen sie in ihren guten Tagen gastierten, stets sauber hinterlassen haben?
Oder Peter Frampton! Wahnsinn! Das Gesicht so ebenmäßig wie weichgezeichnet, blonde Locken, die sanft über mädchenhafte Schultern fallen, zart wie ein fleischgewordenes laues Sommerlüftchen.
Fünftens: Es kommt auf´s Gleiche raus, ob man ein Pfund Nougat mit Sahne vermischt, das Ganze mit Zucker bestreut und ißt oder die Musik der Gruppe HÖLDERLIN aus Wuppertal hört. Geschmackssache, aber wenigstens erinnerten sie mit ihrem Bandnamen stets an den großen, deutschen Karrosseriebauer.
Auch REO SPEEDWAGON mahnten zur Bescheidenheit. Sie trugen Spandex-Hosen, unter denen sich Gemächter abzeichneten, die nicht nur in der Rockmusik schwer zu finden sind.
Und erinnern wir uns daran, daß die SEX PISTOLS zeigten, daß jemand durchaus als Mensch etwas taugen kann, auch wenn er als Sänger scheiße ist.
Doch bei all dem steht völlig außer Frage, daß Nena immer eine schöne Frisur hatte.
Und DEEP PURPLE sogar fünf.
Tja, da kann man nichts machen. Es gibt immer irgendwelche Gründe, den größten Scheiß auf Mix-Tapes zu packen.
Jawohl, ich tu das, und nehme in Kauf, daß der Schritt, sich ganz bewußt für zweit-, dritt- und zehntklassiges Material zu entscheiden, nicht unbedingt clever erscheinen mag. Zumal manche Interpreten höchstwahrscheinlich schwere Gefäßerkrankungen verursachen, Schwangerschaften beeinträchtigen und einem mit Sicherheit die Haare davon ausfallen.
Gut, dann will ich ehrlich sein. Notieren Sie bitte, daß das Erstellen von grotesken Tapes der letzte echte Luxus ist, den ich mir noch noch leisten kann, da es außer Zeit, Bier und Nerven nicht viel kostet. Verglichen mit einer Radtour durch die Sahara ist das Hometapen verhältnismäßig preiswert, bietet das gleiche Maß an Fun und Action und ist sogar legal, denn ich will das Zeug ja nicht verkaufen. Gott bewahre! Weiß ich doch, daß die Musik auf der Kassette urheberrechtlich geschützt ist, der Besitz des Tapes ausschließlich zur Nutzung im privaten Bereich für nichtgewerbliche Zwecke berechtigt, unter der Voraussetzung, daß jeder der beteiligten Zuhörer im Anschluß mindestens einen Tonträger des / der auf der Compilation vertretenen Interpreten käuflich erwirbt, jede andere Benutzung, wie z.B. öffentliche Vorführung, Sendung, Vervielfältigung jeder Art untersagt ist, und daß selbst, wenn allen anwesenden Personen von ausgebildeten Fachkräften die Ohren zugehalten werden, ein Verstoß gegen dieses Verbot geltendes Urheberrecht verletzt und straf- und / oder zivilrechtliche Verfolgung nach sich zieht und nur in begründeten Ausnahmefällen von der Steinigung abgesehen werden kann.
Prima. Dann ist ja alles in Ordnung. Zumal ich außer mir sowieso niemanden kenne, der sich die Scheiße auf meinen Tapes freiwillig anhört. Was ich zutiefst bedaure, denn ich habe extra ein ausgeklügeltes System entwickelt. Verglichen mit den Gebrauchsanweisungen anderer namhafter und geschätzter Kollegen mutet es vielleicht etwas unkonventionell an, dafür erfordert es mathematisches Denken und ein gewisses Maß diffuser Intelligenz. Ich nenne es

DIE TONK-METHODE
Vorbereitung
1. Setze all deine Energie dazu ein, deine Plattensammlung zu vergrößern. Kaufe vor allem die Sonderangebote.
2. Ordne die Platten nach einem möglichst irrationalem System solange, bis sich ca. 25 in etwa gleich große Teilmengen ergeben und merke dir ihren Lagerplatz.
Ausführung
1. Du benötigst drei bis vier Stunden absolute Konzentration. Egal, mit wem auch immer du deine Wohnung teilst, schmeiß ihn raus.
3. Besorge dir einen Würfel, lege ihn auf den Tisch und mach dich locker. Wenn du was brauchst, pfeif es dir ein.
3. Laß dir Zeit mit deiner Flasche Bier, geh nochmal auf´s Klo. Dann schließe die Augen.
4. Krieche zu deinem Plattenlager und ziehe aus jedem Fach jeweils eine Platte heraus.
5. Öffne die Augen, sei dein Gast und siehe, was du dir bescheret hast.
6. Trink eine weitere Flasche Bier und denk mal darüber nach, warum wohl im Gegensatz zu dir so wenig Menschen Platten von der BERND HAAKE BLUES BAND besitzen.
7. Nimm die erste Platte und würfel. Ungerade bedeutet erste, gerade zweite Seite.
8. Würfel erneut. Die gewürfelten Augen zeigen an, das wievielte Stück auf dieser Seite in voller Länge und maximaler Lautstärke nun aufgenommen werden muß.
9. Stelle auf diese Weise eine ganze Kassette zusammen und achte darauf, daß nach jedem dritten Stück eine weitere Flasche Bier fällig ist.
10. Du darfst deine fertigen Tapes sehr leise spielen, wenn du Besuch hast, du darfst auf Verlangen die Tracklist herumreichen, aber antworte niemals auf die Frage, wie es kommt, daß die STRASSENJUNGS, Alexandra, Wolf Maahn, UK SUBS und Fredl Fesl auf einem Band sind.
Konklusion
Tapes, die auf diese Weise zusammengestellt werden, sind Tapes, die sehr einsam machen.

Es gab eine Menge einsamer Leute Mitte der 80er. Sie swingten mit rudernden Armen und zuckenden Köpfen durch die Straßen, standen nickend an Ampeln und murmelten na nana nana noise annoys, nana nana na life is live und nana nana nana nana he-eh-eh MSV.
Wer gern besoffen durch die Straßen zog, konnte mit einem Walkman in der Jackentasche seinen Schritten neuen Glanz verleihen. Ich kaufte mir auch so ein Ding. Die große Epoche des Tapens begann und ließ neben "Österreich" auch Compilations wie "Sternchen", "Schiesser" und "Pop Top" entstehen. Die seltsamen, uninspirierten Titel stammten übrigens nicht von mir, sondern wurden von mir als bereits fertige Wort-Bausätze aus Zeitschriften ausgeschnitten (damals gab es ja noch keine Computer, äh, zumindest nicht in meiner Größe). Das einzige Kriterium war, daß das Wort in voller Größe auf den Kassettenrücken passen mußte. Der Name des Tapes hatte also nichts mit einer passenden Inhaltsangabe zu tun, sondern war nur davon abhängig, ob ich gerade den Kicker, die Fernsehzeitung oder Praline las (die Früchte meiner Arbeit aus dieser Zeit heißen "Werder Bremen", "3. Programm" und "Puff"). Wenn man mich fragt, in welcher meiner Zeitschriften das Wort "Österreich" abgedruckt war - ich weiß es nicht mehr und will es auch gar nicht wissen.
Ein weiterer Grund für die explosionsartige Vermehrung von Tapes in meinem Schrank, Wald und Flur war, daß ich im April 86 zur Bundeswehr mußte. Ehrlich, ich hätte lieber rumgegammelt, aber irgendwie war ich dafür zu faul und schon hatten sie mich, die Säcke. Nun, wo ich schonmal da war, beschloß ich, die fünfzehn grünen Monate als Lehre für mein weiteres Leben zu betrachten. Solide Tarnung, Panzerfahren, ein Gewehr, das einen schönen Feuerstoß ausspuckt, naja, sowas kann man ja immer mal brauchen.
Rückblickend lernte ich dort auch eine ganze Menge. Ich lernte, daß es Menschen mit interessanten astronomischen Vorstellungen gibt ("Niemand rührt sich, selbst wenn der Himmel voller Fotzen hängt!"), daß selbst Kreaturen, die sich vom Neandertaler nicht mehr unterscheiden, einen feinen Sinn für Humor besitzen ("Tonk, wenn ich Sie sehe, muß ich lachen") und ich lernte auch, daß man ohne Disziplin den ganzen Stuß nicht ertragen kann.
Wenigstens kam ich Dank der Bundeswehr einmal in der Woche in den Genuß eines wunderschönen Gefühls, dem Erleben einer stillen, aber überwältigenden Euphorie am Rande der absoluten Schwerelosigkeit. Seit jenen Tagen weiß ich, was Freiheit bedeutet: Mit ein paar Dosen Bier, einem Päckchen Tabak und Ersatzbatterien für den Walkman im Zug nach Hause zu sitzen, aus dem Fenster zu schauen und das Best-Of-Tape von COLD CHISEL zu hören, während draußen die Sonne scheint.
Northbound train, take me home again. Aber wichtig ist nicht, wo man hin will, sondern wo man herkommt. Fünf Stunden D-Zug weg vom Wehrdienst sind besser sind als acht Minuten S-Bahn hin zur Arbeit. Es geht nicht um das Erreichen eines Zieles, es geht um das Feeling dabei. Oft werden daraus golden Memories, irgendwie und irgendwann. Ohne sentimental werden zu wollen - ein Tape wie "Österreich" erweckt natürlich Erinnerungen.
Mit Elkie Brooks verließ ich die Kaserne im schönen Harz. Mit den SEX PISTOLS stieg ich in den Zug. Mit den BINTANGS lief ich zum Umsteigen in den Hauptbahnhof von Hannover ein. Mit Herman Brood stockte ich meinen Biervorrat auf. Mit J.J. Cale stieg ich in den Zug nach Kassel. Mit Don McLean fiel mir auf, daß ich im falschen Zug saß. Mit Udo Lindenberg fuhr ich wieder zurück nach Hannover. Mit QUEEN ging ich neues Bier kaufen. Mit ASLEEP AT THE WHEEL erwischte ich den letzten Zug in´s Ruhrgebiet. Mit Ian McLagan, Captain Beefheart und der TÖRNER STIER CREW hielt ich in jedem Kuhdorf. Mit HÖLDERLIN schlief ich ein und schüttete mir das Bier über die Hose.

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