EMERSON, LAKE & PALMER
PICTURES AT AN EXHIBITION
(GB 1971)

Vielleicht hat es die Nachkriegsgeneration, also ich, im Leben auch deswegen soweit gebracht, weil sie mit einem gesunden Feindbild aufgewachsen ist.
Das fing schon in der Schule an. Das Jagen und Sammeln von Kommunisten, Lehrern und Poppern war einfach. Alle Kommunisten trugen Schlägermützen und Brotbeutel, alle Popper waren parfumiert und die Lehrer waren die, die auf Parkplätzen neben den Autos mit den zerstochenen Reifen standen.
Feindbilder machen Sinn, da man ab und zu jemanden braucht, der für das persönliche Unglück verantwortlich ist.
Als Deutscher teile ich natürlich diese Einstellung, auch wenn sie mir etwas undifferenziert erscheint, da viel wichtigere Feindbilder wie Geometrie, frigide Weiber und Fahrkartenkontrolleure in dieser Aufzählung fehlen. Ich beschloß, mein Abitur in Lichtgeschwindigkeit zu machen und mir dann meine eigenen Feinde zu suchen.
Hat natürlich nicht geklappt. Bin im Zehnten pappen geblieben und habe nach einer achenen und krachenen Ehrenrunde prophylaktisch die Superschule verlassen. Im Nachhinein betrachtet ein weiser Entschluß. Besagtes Institut war Ende der 70er sowieso nur das Auffangbecken für gescheiterte Existenzen, Gitarristen und Halfzwareraucher, die sich im Gebüsch selbst verwirklichten. Viele von denen hatten Spitznamen. Spitznamen von der Sorte, wie man sie gedankenverloren halt mal vergibt, nichtsahnend, daß sie dem betroffenen armen Schlunz dann jahrelang am Arsch hängen.
Ich kann und werde jetzt spontan drei Personen aufzählen, die vom Schicksal und sich selbst gleich doppelt bestraft wurden. Zum einen sahen die bedauernswerten Kreaturen ihren Spitznamen verdammt ähnlich (und Gott ist mein Zeuge, daß ich nicht übertreibe), zum anderen nahmen diese Weicheier ihre Titel aber auch kampflos an. Alles eine Frage des Charakters, klar. Also, mich würde es auch nicht stören, Dödel zu heißen - mich würde es stören, wie einer auszusehen. Das gleiche gilt natürlich auch für Fotzengesicht, doch was will man machen, wenn ausgerechnet dieses Wort ein Gesicht nunmal am besten beschreibt?
Am härtesten aber war die Johannisbeere mit Ohren, von Kennern der Botanik kurz und knapp Knabbel-Joe getauft. Knabbel-Joe war so degeneriert und psychisch bankrott, daß es ihm bestimmt half, während des Musikunterrichtes mit einem Teelöffel ein fußballgroßes Loch in die Wand zu porkeln. London war calling und Duisburg ging ran. Die Zeichen standen auf Sturm: No Future kam langsam über den Teich geschwappt und wurde, nachdem es ordnungsgemäß im Unterricht besprochen wurde, für dummes Zeug befunden. Yep! Der Musikunterricht war schon immer ein Hort der Wahrheit.
Eine Zeitlang durfte jeder gute Schüler selber Platten mitbringen und sich somit gewissermaßen selber zum Hit (oder Niete) des Tages krönen. Ich denke schon, daß meine Auswahl an Platten ganz ordentlich war. Während die anderen nur so´n Teenagerscheiß wie Steel Pulse, The Jam oder Blondie mitbrachten, zog ich nicht nur den Lehrer, sondern auch Monika Dorn mit dem intellektuell weit überlegenen Bombast-Rock auf meine Seite. Keine schlechte Freistoßdistanz, aber eigentlich machten mir ihre Melonentitten eher Angst. Ich hielt es für ratsam, lieber bei Frau Hand zu bleiben und meine Jugend den Giganten Emerson, Lake & Palmer zu schenken.
Zur gleichen Zeit schockte ich meine Eltern mit einem wilden Entschluß: Von meiner Konfirmationsentschädigung kaufte ich mir eine Farfisa Nicole-Heimorgel (gebraucht) und hatte so mit 14 schon die ersten Vergewaltigungen (Tasten, Knöppe, Nerven) hinter mir. Keith Emerson, der Tastengott in diesem Trio, war als Idol gut zu gebrauchen. Er hatte keine Glatze, war schlank und trug immer diesen überdimensionalen, zwanzig Zentimeter breiten Gürtel über der Pocke. Später heiratate er aber, hab ich gelesen, und ward fortan wohlgekleidet und optisch belanglos. Als seine Knochen noch mitspielten, hatte Emerson die ulkige Angewohnheit, seine Orgeln umzuschmeißen, auf sie einzustechen oder anzuzünden.
In Duisburg dauerte es keine Woche, bis im Klassenraum die erste Bank umkippte.
Als ich genug gelbe Karten beisammen hatte, wurde ich ruhiger und mußte feststellen, daß auch die anderen beiden Musikusse gut einen an der Waffel hatten. Es gibt Anekdoten aus Jugendzeitschriften, die vergißt man nicht. Carl Palmer, der Trommler, pflegte auf Tourneen stets seinen privaten, zentnerschweren Eichenschrank mitzunehmen, während Greg Lake (Baß, Gitarre, Fönfrisur) lieber in der Schweiz in Straßenklamotten zum Juwelier ging. Da dieser ihm schnöselig die Liquidität absprach, schmiß Lake ein paar von den Diamanten in den nahegelegenen See, nur um zu beweisen, wie reich er war! Greg, der alte Zigeuner, kreierte auch den kaiserlichen Ausspruch If you travel, travel first class. Naja, warum auch nicht? Gelder waren vorhanden. Die ersten Platten von ELP schlugen gut ein und waren mit ihrer Bandbreite zwischen purem Kitsch und barockem Gemetzel auch durchaus jede Mark wert. Als kleines Zubrot avancierte die Gurke Lucky Man 1970 zur Schnulze und Taler GmbH. Ein Jahr später brannten dann in einem geheimen Ort der Band endgültig die Sicherungen durch. Als hätten die End-60er nicht schon genug Klassikadaptionen über sich ergehen lassen müssen (The Nice, Procul Harum und auch Deep Purple), wiesen die Wahnsinnigen den russischen Komponisten Modest Mussorgsky mit einer überarbeiteten "Rock"-Fassung seiner Bilder einer Ausstellung in seine kommunistischen Schranken.
Der live (!) aufgenommene Größenwahn machte den 26. März 1971 zu einem der schwärzesten Tage der Rockmusik. Vor einem offensichtlich bekifften Haufen britischer Kunststudenten nudelten Emerson, Lake & Palmer die ganze Palette ihres vermoderten Lebensgefühls herunter und hinterließen beim Auditorium offene Münder. Und was gut für die Fliege ist, kann für den Homo nicht schlecht sein. Aber Vorsicht: Leute, die sich nur mit minderwertiger Unterhaltungsmusik beschäftigen, werden dieses Dokument des musikalischen Mercedesfahrens sicherlich nicht ohne weiteres raffen, aber da kann ich dann auch nichts für.
Man muß im Prinzip nur begreifen, daß Supergruppen super Gruppen sind.
Denn auch wenn ELP ihre Groupies vielleicht mit lachsgefüllten Parisern gefüttert haben, so trafen sie wenigstens die Töne! The Great Gates Of Kiev, The Gnome, The Hut Of Baba Yaga - ganz locker runtergespielt, wie man das vom Essen einer Salamistulle kennt. In den ruhigen Momenten dieser Platte (The Sage) kann sich der Hörer in Ruhe einen pellen, bevor wieder nach alter Tradition geklöppelt, gepaukt und brutalisiert wird. Das ist echter Schock-Rock und steht deswegen auch bei mir im Regal zwischen Eisenpimmel und Electric Light Orchestra.
Als 1977 Volkspunk entdeckt wurde, ging es mit ELP schlagartig bergab. Klar, wer sollte auch jetzt noch ihre Platten kaufen? Zwanzig Jahre später hat man sich laut Zeitungsberichten sogar wieder zusammengerauft und vor ein paar Leuten ein paar Antiquitäten gedudelt. War aber nix. Leider haben ihnen Barclay James Harvest die Show gestohlen.

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