THE REPLACEMENTS
SORRY MA, FORGOT TO TAKE OUT THE TRASH
(USA 1981)
Ähnlich wie das Tierreich steckt auch die Rockmusik immer wieder voller kurioser Überraschungen. Ähnlich wie im Tierreich ist es auch hier das zuweilen recht seltsame Balzverhalten und der ausgeprägte Trieb, komische Töne von sich zu geben. Noch seltsamer mutet die Tatsache an, daß Dave Edmunds nie bei den Traveling Wilburys mitspielte, wogegen zum Beispiel der neue Sänger von AC/DC nicht bei seinen Leisten (Geordie) geblieben ist. Echt bekloppt.
Was ich an den Replacements, übrigens auch wieder so eine kuriose Überraschung aus der Welt der Rockmusik, so schätze, weiß ich gar nicht mal auf Anhieb. Gut, dann muß ich eben mal raten. Zum Beispiel, wie die Boys aus Boston wohl heute klingen würden, wenn sie sich nicht 1992 aufgelöst hätten. Was mich betrifft: Ich war ja schlau, damals. Dank einer gültigen Eintrittskarte hatte ich das Vergnügen, die Band auf ihrer Abschieds-Tour im Kölner Luxor leibhaftig sehen zu dürfen, mit den Fingern zu schnippen und ab und an mal heftig mit dem Hintern zu wackeln. Hat auch voll Fez gemacht. Kann ich jedem nur empfehlen. Und das, obwohl die Sturm- und Drangzeit der Band schon eine ganze Weile zurücklag.
Diese Platte hier ist auch deshalb ein Klassiker, weil Stink aus dem gleichen Jahr eigentlich keine richtige Platte ist, sondern mit ihren acht ratternden Songs genauso lange läuft wie ein durchschnittlicher Song von Pink Floyd. Überhaupt wurden diese beiden Bands niemals miteinander verwechselt, zack!, schon wieder so ein Phänomen aus dem Reich des Rock. Verwechseln war in diesem Fall auch schwierig: Das eine war Hippiescheiße, das andere Krach. Schade, daß da keine Einigung möglich war. Man hätte sich bestimmt gut miteinander verstanden, so von Mensch zu Mensch.
Auf Sorry Ma... sind die Fronten und ihre Sinnsoldaten schon auf dem Titelbildschlachtfeld deutlich markiert: "File Under Power Trash" steht dort in den Lettern Satans auf (natürlich) schwarzem Grund, was soviel bedeutet wie "feile unter Kraftabfall" und jetzt kann sich jeder denken und ertränken, wie er grad lustig ist. Ich mein, das mit der Feile kommt schon hin. Vier vom System angeödete US-Boys ballern sich grob, aber gründlich die Nerven kaputt. 17 mal imitieren sie das Maschinengewehr Tarzans, und einmal wird gekuschelt, aber zack zack! Der Preis war hoch und wurde (erstmalig in der Musikgeschichte) von staatlicher Seite aus amtlich beschlossen: Aus Sicherheitsgründen mußte besagte ruhige Nummer (Johnny´s Gonna Die) eingeschoben werden, die Leute wären ja sonst ausgeflippt!
Dabei war die Rezeptur eines handelsüblichen Replacements-Songs so simpel, daß sie selbst die frühen Lemonheads gerafft haben und auf ihren ersten Platten fröhlich kopierten: Man nehme einen handelsüblichen Protest-Text, packe ihn in einen Formel 1-Wagen und gebe Gummi - fertig!
Bob Stinson (Gitarre) machte diesen Job sehr gut, bis er vor ein paar Jahren viel zu früh von uns ging. Typisch für die deutsche Medienlandschaft, daß nur ein (!) Fanzine diese Tragik in der Musikgeschichte erkannte und einen herzergreifenden Nachruf ablieferte: Das Flying Revolverblatt aus Dresden! Dafür möchte ich mich an dieser Stelle einmal bedanken und mit meiner weißen Rotzfahne stramm nach Osten winken. Naja, was soll´s, Bob hat sowieso nix mehr gemerkt. Kurz vor seinem Tod purzelte nämlich hier in Duisburg eine Kapelle namens Sue Ellen & The Joy Of Drinking eher unabsichtlich in die Fußstapfen der Replacements, die sich natürlich nie dafür bedankt haben, daß ihnen mal jemand ´ne Referenz erweist, aber so ist das zynische Rock- und Pop-Geschäft eben: Hart und teuer.
Im Laufe ihrer Karriere forcierten die Replacements ihren Hang zum eher traditionellen Rhythm´n´Blues und verliehen ihre Power solange an Bedürftige. Kraft des Songwritergenies und Charismas von Paul Westerberg (zur Zeit solo erfolglos) hatten aber auch die Spätwerke durchaus ihre Qualitäten. Insbesondere Pleased To Meet Me war eine selten geile atmosphärische Platte mit gelegentlichen Eruptionen und Querverweisen in die eigene Vergangenheit. Don´t Tell A Soul hingegen ist echt scheiße. Ich hab sie mir zwar der alten Liebe wegen noch gekauft, aber das war ein Fehler. Schon 1990 hat man mir diese Platte zum Geschenk angeboten - doch ich habe aus Pietät abgelehnt, denn es wäre das Geschenk von einer Frau gewesen.
Clarissa hieß die gute Dame, zu der ich damals lose Kontakte unterhielt. Clarissa war die erste Frau, abgesehen von meiner Mutter, mit der ich mich über Musik unterhalten konnte und wegen ihres etwas seltsamen Musikgeschmacks (Melvins, Sylvia Juncosa, Giant Sand) schätzte ich vor allem ihre Bohnensuppe. Jedesmal, wenn ich sie in ihrer kleinen Wohnung in Duisburg-Neudorf besuchte, servierte sie mir gleich mehrere Teller davon und schaute mich dabei so komisch an, so lost, so lonely, so irgendwie anders. Sie hatte zwar einen Freund, sagte sie, doch der wär ´ne Pfeife. Ich revanchierte mich in meiner kleinen Wohnung in Duisburg-Großenbaum mit leckerem Schmierkäse und wir so blieben wir eine zeitlang gute Freunde. Aber, wie gesagt, die Platte konnte sie behalten. Platten verschenkt man nicht so einfach. Schon gar nicht, wenn sie einem selbst nicht gefallen. Im Frühjahr 91 zog das arme Ding nach Bayern. Da war endgültig Schluß mit Suppe.
Ich möchte natürlich nicht versäumen, bei dieser Gelegenheit zu erwähnen, daß ich die Replacements sogar schon mal im Fernsehen gesehen habe, jaja, man höre und staune! Es war der Video-Clip zu Bastards Of Young von 85 oder wat und der ist echt voll super: Die Musik fängt also an und man sieht drei Minuten lang nur eine Stereoanlage, die grad die Platte dudelt, bzw. die fette Box. Möglich, daß man sich da verarscht vorkommt. Möglich aber auch, daß es die Replacements aus genau diesem Grunde nie zu etwas gebracht haben und immer nur die kleinen Scheißer blieben. Ihnen fehlte, abgesehen von Gerechtigkeit, auch eine gute Portion Attitude für die Massen. Die Blödmänner beschränkten sich darauf, gute Musik zu machen und vollzogen dann eine ähnliche musikalische Entwicklung wie nach ihnen die Goo Goo Dolls oder die bereits erwähnten Lemonheads. Die einen beiden haben dann Geld damit verdient, die anderen haben sich aufgelöst. Das macht einen nachdenklich, melancholisch und irgendwie durstig. Sorry Ma.