ACHIM REICHEL
BLUES IN BLOND
(BRD 1981)
Man kann sich kaum vorstellen, daß allein der Name Achim Reichel selbst hartgesottene Zeitgenossen dazu bringt, direkt loszukotzen oder zumindest einen schlechten Witz zu machen. Es ist aber so und ich kann´s auch nicht ändern.
Viele Leute, die ja mal von Rock und Pop überhaupt keine Ahnung haben, lehnen diese Ikone dezent ab. Gelegentlich schlägt´s sogar in ein "sich belästigt fühlen" um, erzählt man sich.
Meine Lebensabschnittsgefährdit(?)in(?) zum Beispiel, die vor der neuen Rechtschreibung nur eine einfache Freundin war, kann dem sympathischen Hamburger so rein gar nichts Positives abgewinnen. Gut, Mona ist ´ne Frau, aber so´n bißchen Grundwissen über das Huh iß Huh der Rockmusik, Autos und Fußball sollte schon vorhanden sein, wenn man sich mal dazu entschieden hat, mit mir zusammen zu sein. Tut mir leid, Frau Mona, daß ich Ihnen auf diesem Wege in die Backe pieke, aber da hab ich nunmal kein Verständnis für und ich bin weißgott tolerant. Sag bloß, Du hast schon vergessen, daß Achim zu den besten Männern auf St. Pauli gehört? Akkurat, höflich und so durch und durch Mensch. Seine Frau soll ohnedies Heidi heißen, hab ich gehört, und auf seinem Bauernhof im Norden ist er selbst zu seinen Tieren immer nur gut! Wenn mich nicht alles täuscht, müßte er sogar die Grünen wählen. Zumindest hat er vor ein paar Jahren mal ein Lied über´s Fahrradfahren gemacht. Logo, daß mir sowas besser gefällt als stumpfe Auto-Lobbyisten wie Polo Pink Floyd, Golf Rolling Stones oder Jon Bon Jetta. Aber was soll´s, Autofahren ist sowieso eine unästhetische Scheiße, zumindest was die deutsche Standard-Karosserie betrifft. Und dabei hatte der Luxusknödel Markus noch die Frechheit besessen, zusammen mit seinem befreundeten Imperativ Gas geben zu wollen, ha, ich lach mich kaputt! Nein nein, so ein Früchtchen! "Gib Gas!", wie hört sich das denn an? Nicht viel anders als "Lutsch und schluck!"
"Bitteschön", "Danke sehr" - völlig aus der Mode gekommen! Eigentlich ein Skandal. Auch im Punkrock, seltsamerweise. Echt komisch. Wo doch gerade wir die Elite Deutschlands sind und so auch eine gewisse Vorbildfunktion ausüben sollten.
Doch in der Realität gibt es natürlich nur Leute, die man stundenlang zum Mond schießen könnte.
Primaten, die auf Konzerten laut "Zugabe!" brüllen zum Beispiel. Was ist denn das für ein popeliger Stil? Was sollen denn die Gäste von uns denken?
So wäre es richtig: "Lieber Herr Elvis! Würden Sie mir bitte noch ein Stück aus Ihrem prall gefüllten Liederkorb anbieten wollen? Wir kennen uns zwar nicht, doch wäre es mir ein Vergnügen, Ihnen weiterhin zuhören zu dürfen."
Und der King dann in Deutsch: "Aber gerne, der Herr. Und darf´s ein bißchen mehr sein?"
Das hätte doch was. Statt sich anzuspucken, herumzugröhlen und fremden Leuten auf die Schuhe zu kotzen, könnte man zum Beispiel auch einer schäbbigen Frau mal die Tür aufhalten. So, wie ich es 91 getan habe, als ich den guten Achim endlich live sehen konnte. Achim war zu jener Zeit mal wieder allgemein angesagt, da er gerade mit Aloha Heja He einen Riesenhit hatte, ohne die Folgen zu bedenken. Das Publikum im Tor 3 zu Düsseldorf überzeugte durch aktives Dunstglockenbauen. Hätten sie wenigstens noch dabei gefurzt, das wär noch biologischer Abbau gewesen, da hätte man selber noch gern ´ne Schüppe draufgetan, aber nein: Am Vorabend hatten fünfhundert Irre sämtliche Douglas-Filialen leergekauft. Einen Tag später zogen sie los, Achim Reichel zu preisen und dabei knusprige Hühnerhaut zu zeigen. Ich kam etwas später, hustete mich vorsichtig bis Reihe vier durch und bekam im selben Moment von einer halbverwesten Angestellten der Damenbank die Leviten gelesen: "Was machen Sie hier, junger Mann? Wenn Sie schon zu spät kommen, stellen Sie sich gefälligst hinten an!"
Achim zeigte sich unbeeindruckt von den Schabracken aus der anderen Galaxis und bot auch im Spiralnebel Hugo einen netten Gig. Am Baß zabelte übrigens Benjamin Hüllenkremer herum, der früher mal dienstlich bei Interzone und Inga Rumpf war. "Na, dit is ja interessant, wa" höre ich Euch sagen, und Ihr habt ja so Recht!
1981 war Ben aber noch nicht am Reicheln. Achim mußte seine Platte Blues In Blond mit anderen Leuten aufnehmen und Texte von Jörg Fauser singen. Den hat es vor ein paar Jahren leider erwischt, als er an seinem 44. Geburtstag besoffen auf einer Autobahn spazieren ging. Autofahren schadet nur, ich sagte es bereits.
Da Fausers Texte gerade im Herbst seines Lebens aber bis heute unabsteigbar sind, wimmelt es auf der Platte vor spröder Weisheit. Zumeist ist sie in kleinen Geschichten über Frauen aller Art verpackt, wie in dem Lied Komm in die Falle, Marie. Wie immer setzt Musiker Achim jeden Text sensibel um, agiert dabei zumeist im eher verhaltenen Tempo und zaubert hier erstmalig auch das ein oder andere Endzeit-Szenario in die Rille. Ob das der Zeitgeist war, 81, oder nur ein schlechter Schiß? Ich vermute ersteres. Zeitgeist, der in Dekadenz mündete, die widerum in ihrer Höchstperversion die kommerzielle Abteilung der Neuen Deutschen Welle gebar. Gebar? Gebbar gebbar hey! Mir jedenfalls ging´s prima dabei, erst recht mit dem Calypso Kettchen am Fuß, da ich ja zu jener Zeit mal wieder schwer in die Falsche verliebt war. Es war das alte Leid: Ich hatte nur noch Haare für sechs Jahre, Ohren für Achim und Augen für diese Kerstin aus der Parallelklasse. Ja genau, die und keine andere wollte ich begatten! Es kostete mich einiges an Überwindung, sie mal auf ein Schläferstündchen einzuladen, aber mein Plan war einfach zu gut, um ihn nicht wenigstens einmal auszuprobieren. Ich hatte die gloreiche Idee, daß das süße Ding mir pro forma Nachhilfe in Latein gibt, während ich ihr als Gegenleistung Kassetten mit Penisrock aufnehmen würde. So kämen wir prima in´s Geschäft und der Weg zum horizontalen Kontakt wäre bereits breit gepflastert. Ein schönes, faires Agreement, das ihrem Marktwert entsprach. Ich muß dazu sagen, daß nicht alles an Kerstin perfekt war. Sie verfügte nämlich zum Leidwesen ihrer Zuhörer über eine penetrante Krächzstimme, aber diesmal wollte ich nett sein und darüber gnädig hinwegsehen. Ihre straffe Haut, die sich wie nassrasierter Samt über Kinnpartie und Wangenknochen spannte, entschädigte für alles. Ich war mir ziemlich sicher, daß die holde Fee nach Schokolade schmeckt, wenn man ihr in die Backe beißt. Und ich... nun ja, ich hatte schon ziemlichen Hunger, kann man sagen. Ein guter Freund besorgte mir ihre Nummer und ich offerierte ihr telefonisch kulturellen Zuwachs im Tausch gegen lausige Deklination. Wißt Ihr, was das Miststück gesagt hat? - Sie wollte Geld (!) für ihre Nachhilfe, zehn Mark die Stunde, na toll, dann kann ich auch in den Puff gehen. Und wie kam ich jetzt auf diese Kuh? Ach ja, genau, zu diesem Süßwarenprojekt paßte der distanzierte Soundtrack von Achim jedenfalls ganz gut, genau wie man die wirklich guten Platten immer daran erkennt, daß man sie mit wirklich beschissenen Momenten im Leben verbindet.
Und mit der bedeutsamen Erkenntnis, daß sich auch wildfremde Menschen nicht so ohne weiteres in die Backe beißen lassen, sage ich zum Abschied leise aloha heja.