PASSION PLAY
84ER ARBEIT
(BRD 1984)
Aus guten Gründen haben die meisten Menschen keine Erinnerung mehr an das Jahr 1983, aber in chronometrischer Hinsicht bildete jeder einzelne Tag eine Besonderheit: Es war immer fünf vor zwölf. Trotz eindringlicher Mahnungen von John Lennon, Bob Dylan und Udo Lindenberg stand die Welt damals am Rande aller denkbaren Apocalypsen. Am schlimmsten davon betroffen war die Stadt Duisburg in Nordrhein-Westfalen. Als Reaktion auf die verschärften Lebensbedingungen (Nato-Doppelbeschluß, Lehrstellennot, Umweltverschmutzung) gründete sich dort eine mutige Rockgruppe, um der Hungersnot in der dritten Welt, der Korruption in Wirtschaft und Politik und den Atombomben eigene Visionen entgegenzusetzen. Die Band benannte sich nach einer langweiligen Platte von JETHRO TULL und hieß, nachdem die anfänglichen Vorschläge SAMEL und VAN NÜLLE schnell verworfen wurden, PASSION PLAY. Das Musikkonzept umfaßte sowohl Hardrock-Elemente, wie auch melodiöse Passagen und bildete eine Synthese aus mehrstimmigen Klangbildern und rhythmischer Dynamik, welche auf eigenwilligen Taktfolgen basierte. Der vordergründig behäbig wirkende Rock von PASSION PLAY war auch Kritik an traditionelle, bürgerliche Formen aller Art; es galt, eine Einheit von politischer und künstlerischer Avantgarde herzustellen. Man griff dabei auf fortgeschrittenes, musikalisches Material zurück, ohne dabei die Hörgewohnheiten des Publikums zu vernachlässigen. Zum Großteil bestand die Band aus Autodidakten, die schottische Einflüsse mit abendländischen Assoziationen verknüpften und versuchten, auf einer sinnlichen Ebene Musik mit Kunst zu verbinden. Ihr oftmals formidables Output resultierte nicht nur aus metaphysischen Inspirationen, sondern war auch das Ergebnis konzentrierter, harter Arbeit. Doch so unterschiedlich die Charaktere der Band auch gewesen sein mochten - sie alle waren erbitterte Dixieland-Gegner. PASSION PLAY bestand aus Raimund Schwiertz (Gitarre), Norbert Hinz (Gitarre), Dirk Schulz (Bass), Wolfgang Nowak (Drums) und Thomas Tonk (Vocals). Ähnlich wie die BEATLES waren sie Schulfreunde, hatten dort gelernt, ihren Intellekt zu sensibilisieren und zu schärfen, lediglich der zehn Jahre ältere Schlagzeuger Nowak kam aus einer verkommenen Junggesellenbude des Nachbar-Stadtteils. Um einen Song einzustudieren, benötigten PASSION PLAY keine zwei Monate, und um sich an einen bereits einstudierten Song zu erinnern, keine drei Wochen. Wahrscheinlich waren sie die besten zeitgenössischen Musiker.
In ihrer vierjährigen Karriere hatten sie drei Auftritte, von denen der im Jugendheim Arlberger Straße den im Jugendheim Lauenburger Allee vielleicht künstlerisch übertraf, von denen der in der Aula des Mannesmann-Gymnasiums im Vorprogramm der EINTOPF BLUES BAND allerdings vor der gigantischen Zuschauerzahl von circa neunzig stattfand. PASSION PLAY konnten diese Euphorie über zwei Jahre lang innerhalb der Gruppe konservieren und stellten eine perfekte Demo-Kassette zusammen, mit der sie sich für einen Auftritt beim renommierten "Rock im Park"-Festival in Meiderich bewarben. Doch der Auftritt fiel in´s Wasser, da das Ein-Mann-Auswahlkommitee, bestehend aus Peter Bursch, dem Arsch, die Klasse der Band nicht erkannte.
Ihren schöpferischen Zenit erreichten PASSION PLAY im Jahre 1984, als auch die Kassette "84er Arbeit" entstand, die, schlichtweg unfaßbar, zu keinem Plattenvertrag mit der EMI führte. In ihren sieben Kompositionen orientieren sich die Musiker vor allem an angloamerikanischen Vorbildern, da das tägliche Leben in Europa inzwischen einem Spießrutenlauf glich. Der relativ unbekannten Indiegruppe BOSTON erweisen sie mit "On The Run" Respekt, auf "Ain´t No Use" beerben sie die Alternative-Band ROLLING STONES und finden mit "Get Some Fun" eine Scholle, aus der Südstaatenrock wachsen kann. Trotz ihrer eindeutig international angelegten Karriere verleugneten PASSION PLAY aber niemals ihre Heimat ("Ruhrpott", "S-Bahn-Boogie"), was sie in den Ohren vieler US-Bürger sicherlich suspekt erschienen ließ.
Das Jahr 1986 nutzte die Band zur intensiven Selbstfindung. Es gab nur noch sporadische Treffen, da Sänger Tonk zur Bundeswehr mußte und die Waschküche der Familie Schwiertz, in der PASSION PLAY ihre Stücke einzustudieren pflegten, zwischenzeitlich als Lagerraum für Bett- und Leibwäsche genutzt wurde.
Das Jahr 1987 nutzte die Band dann zur intensiven Auflösung. Ausschlaggebend waren keine persönlichen Gründe, sondern ausschließlich musikalische Differenzen. In den Folgejahren brachten die Mitglieder von PASSION PLAY ihr Können in den unterschiedlichsten Bands ein oder starteten vielversprechende Solokarrieren als Hausmann.
Für eine Wiedervereinigung fehlen derzeit noch die Gründe, die sich aber bei entsprechenden lukrativen Tournee-Angeboten sicherlich finden würden. Immerhin halten die ehemaligen Bandmitglieder noch den losen Kontakt, der einen kurzfristigen Sommerhit oder eine Teilnahme beim Eurovision Song Contest ermöglichen würde. Sänger Tonk sah bei Gitarrist Schwiertz im Juli 2006 das WM-Achtelfinale, wo er vom Fotografen Grzbatzki erfuhr, daß Bassmann Schulz jetzt auf Weihnachtsmärkten Bratwürste verkauft. Alles in allem stehen die Chancen für eine Reunion gar nicht mal so schlecht.