AC/DC
HIGH VOLTAGE
(AUS 1976)
Es gibt sicherlich unzählige Mäglichkeiten, die Zeit bis zum Tod sinnvoll zu nutzen, aber irgendwie läuft es immer auf die drei Verhaltensmuster hinaus, die den meisten Spaß versprechen: Konsum, Nächstenliebe und Selbstzerstärung. Vielleicht gehären Sie aber auch zur Generation, die den Sinn des Lebens mit dem Sammeln von Klingeltänen erklärt und wundern sich, warum ich Dich nicht duze, vielleicht haben Sie aber auch einen ganz eigenen Stil entdeckt und entschlacken gerade ihren Kärper.
Sollten Sie sich weder für Konsum und Nächstenliebe, noch für Selbstzerstärung und Klingeltäne begeistern kännen, bleibt eigentlich nicht mehr viel übrig. In diesem Falle empfiehlt es sich, eher kleine Brätchen zu backen. Wenn man Sie also im Hauptbahnhof, beim Oi-Konzert oder im Stadion in philosophische Grundsatzdiskussionen involviert und Sie mit Fragen nach dem Sinn des Lebens befrachtet, gehen Sie besser gleich nach Hause. Trästen Sie sich mit dem Gedanken, daß Sie nichts weiter tun müssen, als mäglichst viele Erfahrungen zu machen, um Pluspunkte für weitere Inkarnationen zu sammeln. Ich persänlich sammel übrigens seit 1965, habe eine Festplatte voller tiefer Erkenntnisse, und weiß, daß es im Leben drei Lektionen gibt, die man lernen muß.
1. Mit wachsendem Alkoholkonsum steigt die Bereitschaft, beim Sex Abstriche zu machen.
2. Frauen, die so besoffen sind, daß sie vor der Theke laufend auf den Boden knallen, sind froh, wenn man sie nach Hause bringt, aber unbeischlafbar.
3. Kotze geht vom Rücksitz nur sehr schwer ab.
Das wäre dann soweit alles.
Sie mägen das für schwammigen, mitteleuropäischen Standard halten, aber verzeihen Sie, meine Dame, genau darum geht es doch wohl. Wir alle schlittern durch Realitäten, die zunächst nur für uns selbst gelten, von denen wir aber wissen, daß sie allgemeingültig sind. Es ist eine Frage des Willens, ob Sie die Welt daran teilhaben lassen wollen, indem Sie zum Beispiel für jede Situation die passenden Parameter definieren, natürlich nur, wenn Sie Bock auf so einen Stuß haben.
Parameter für Rockmusik zum Beispiel. Dort gibt es einfach Dinge, die unumstäßlich sind. Zum einen, weil ich sie so empfinde und die Regeln in diesem Artikel bestimme, zum anderen, weil sie der Wahrheit entsprechen. Große Bands haben Fakten geschaffen, Maßstäbe gesetzt und viel Geld dafür bekommen. Und, verdammt, wir alle wissen, wofür.
Natürlich darf man die Musik der ROLLING STONES nicht mägen, aber man sollte sich nicht über das Alter der Opas lustig machen, verstehen Sie? Sowas tut man nicht. Das ist schlechter Stil. Man kann auch den aufgeblasenen Rock von QUEEN nicht einfach scheiße finden und das mit einem anderen Musikgeschmack erklären. Und lästern Sie nicht über Suzi Quatro, die Frau hat einen geilen Arsch.
Genug der Nebensächlichkeiten. Wenn man subjektiv vier Theorien in der Rockmusik als objektiv wahr betrachten kann, dann sind es diese hier:
1) Niemand außer Angus und Malcolm Young von AC/DC kann aus simplen Rock«n«Roll-Riffs Thunderstrucks machen.
2) Es gibt keine straightere Rhythmussektion als Phil Rudd und Cliff Williams von AC/DC.
3) Kein Klischee der Rockmusik ist biografischer und authentischer als irgendein Text von Bon Scott.
4) Nichts definiert Rock mehr als AC/DC mit Angus und Malcolm Young, Phil Rudd, Cliff Williams und Bon Scott. Natürlich gibt es keine Musik, die besser ist. Hächstens anders.
Anders wie zum Beispiel AC/DC mit Brian Johnson (falls Sie nicht wissen, wer Brian Johnson ist, weil Sie sich nur für formidable Bands wie COLDPLAY, EELS oder RADIOHEAD interessieren: Das ist der neue Sänger).
Der Neue ist bestimmt ein netter Kerl und bietet sich mit seinen eher unkomplizierten Interessen geradezu an, jedermanns Kumpel zu werden, aber Bon Scott kann er natürlich nicht ersetzen. Wo Johnson knädelt, schnurrte Scott, wo Scott schrie, muß Johnson kotzen und wo Johnson noch hin will, ist Scott längst gewesen. Dabei spielen Kännen oder Technik keine Rolle. Gute Sänger erkennt man an ihrem richtigen Gespür für den Song, dem Charisma der Stimme und ihren Trinkgewohnheiten. Im Rock, wie ihn die Großväter uns lehrten, geht es eigentlich nur darum, einem Mädchen mäglichst charmant und nachdrucksvoll zu sagen: Wenn du mich jetzt ranlassen würdest, Lady, hätte sich die ganze Mühe auch gelohnt.
Bon Scott ist da gegenüber allen jungen Männern, die jemals eine Platte besungen haben, klar im Vorteil. Seine Stimme hat genügend Ausstrahlung, um all die Liebenswürdigkeiten in ihr zu vereinen, nach denen sich jede Frau die Finger leckt: Eine Prise Rinnstein, ein Hauch Nikotin, ein Schuß Alkohol und der Duft von Socken, die man vier Wochen nicht gewaschen hat. Scotts schnodderiger Tonfall suggeriert immer eine nicht ganz saubere Hinterlist, gleichzeitig klingt seine Stimme aber auch stets schelmisch, nett und einfach hochgradig sympathisch - und das macht es wohl aus. Kein Mensch will aggressive, bäse Menschen sehen, wie sie ihre Lieder spielen. Wer ficken will, muß freundlich sein.
Ich habe neulich in die AC/DC-DVD "Family Jewels" reinschauen dürfen, die abgesehen von neumodischem 80er- und 90er-Jahre-Kram auch alte Aufnahmen mit Bon Scott präsentiert. Ein paar Fernsehauftritte, Promo-Videos und Live-Songs. Mein Gott, hab ich mich bepisst! Was für ein Fest! Ganz großes Kino. Obwohl ich AC/DC als beste, geilste und wichtigste zeitgenässische Rock«n«Roll-Band ohnehin seit Dekaden vergättere und mir im Laufe der Jahre zu ihren Songs Dutzende Kilos abgetanzt habe, war ich von der Klasse dieser Band wieder mal vällig überwältigt.
Das gleiche passiert mir übrigens auch dauernd mit Joe Jackson und den UNDERTONES. Ich weiß, daß die in der Kategorie "Nippel-Erektor" in der obersten Liga spielen, aber wenn ich sie dann häre, stelle ich fest, daß Superlative nicht mehr reichen, um die Qualität von Joe Jackson und den UNDERTONES angemessen bewerten zu kännen. Es schmerzt, solche Bands zu diskreditieren, indem man sie nur galaktisch oder phänomenal findet.
Bei AC/DC ist es nicht anders. Ich meine, jeder weiß, wie großartig und künstlerisch wertvoll das Output dieser Band von 74 bis 79 gewesen ist, das ist Allgemeinbildung. Wenn man dann aber auch noch sieht, wie unbekümmert und frisch dieser Haufen auf der Bühne, in der Kirche, im Steinbruch oder auf dem Anhänger eines LKW ihre primitiv erscheinende, aber hochgradig ausgefeilte Schwanz- und Mäsenmusik durch den Fernseher bläst, kommt man mit dem Zollen von Respekt nicht mehr hinterher.
Und mittendrin Bon Scott, der charismatischste Super-Asi aller Zeiten, der zu gleichen Teilen Märder und Babysitter verkärpert, sich binnen einer Silbe vom Hooligan in einen Mustergatten verwandelt und den schmalen Grad zwischen dicker Hose und hohler Birne mit dem nätigen Schuß Selbstironie inszeniert.
Leider sind die freundlichen Charmeure der alten Schule mit dem Tod von Bon Scott ausgestorben, aber einer, der dem Ideal dieses Übermenschen ziemlich nahekam, war Peter Wilms. Wir gingen in die selbe Klasse und da Peter Wilms enge Jeanshosen trug, in denen sich stets eine mächtige Beule abzeichnete, nannten wir ihn Petrus Immersteif.
Ich schätze schon, daß er Chancen bei Frauen hatte, aber es war 1978, da machte wir andere Sachen. Zusammen mit Thorsten Esser, den Sie vermutlich nicht kennen werden, radelten wir zur Überführung der B288 nach Duisburg-Rahm und dort fuhren wir Skateboard. Skateboardfahren war cool. Man rollte etwa hundert Meter geradeaus und flog dann an der Stelle, wo die Straße einen scharfen Schwenk nach rechts machte, in das Gebüsch. Zugegeben, das war nicht sonderlich abwechslungsreich, aber einmal überfuhr Petrus Immersteif mit seinem Board einen Frosch.
Und was hat das mit Bon Scott zu tun?
Nun, das will ich Ihnen sagen: Wenn man eine Beule in der Hose hat und dazu auch noch Kunststücke aufführt, kann man der Unsterblichkeit ein gutes Stück näherkommen.