HERMAN VAN VEEN
DIE SELTSAMEN ABENTEUER DES HERMAN VAN VEEN
(NL 1977)

Sexy war ich ja schon immer. Aber kaum, daß ich 19 Jahre alt war, wurde ich vor lauter Ausstrahlung zu einem radioaktiven Problem. Und so wuchs ich heran zu einem stattlichen Burschen, dem es Gott tüchtig gegeben hat. Ich war groß, schlank, total nett und politisch okay. Der Haarausfall lauerte damals noch in einer dunklen Ecke, Aids war noch nicht erfunden und alle Mädchen nahmen brav die Pille. Es war die Zeit, in der man mit seinem Schwanz noch recht unbekümmert "Schiffe versenken" spielen konnte. Viele meiner Mitmänner stachen in See. Ich nicht. Ich hatte eine feste Freundin. Ein Luder, das Supertramp hörte, Supertramp und Bee Gees. Ich liebte sie trotzdem, empfahl ihr aber dringend Rocknachhilfeunterricht bei mir.
Eine Weile ging das gut. Ich dudelte ihr täglich duften Sound vor und sie versprach hoch und heilig, sich die Namen der Bands zu merken. Schwierige Worte wie Black Oak Arkansas oder Blue Öyster Cult schrieb ich ihr auf. Alles war im Lot, zumal sie echte Fortschritte machte und ab der dritten Woche schon leichte Bachman-Turner Overdrive-Hits mitsummen konnte.
Dann kam jener verhängnisvolle Nachmittag, an dem ich sie beim Kauf einer Opus-LP erwischte. Oh Mann! Sie war rückfällig geworden wie ein räudiger Hund! Ich überlegte kurz, ob ich sie nicht besser direkt verlassen sollte, da das Verprügeln nicht mein Stil ist. Mangels Alternativen blieb ich aber bis auf weiteres bei ihr, hoffend, daß sich manche Dinge beizeiten zum Guten entwickeln würden, was sie kurz darauf auch taten. In Form von Tina.
Tina war die Freundin meiner Freundin und der Schöpfung größter Bonus-Track. Abgesehen von ihrem Haarschnitt, den sie nicht hatte, bot sie allen Komfort der Extraklasse. Sie war dünn, drollig und hatte ein bezauberndes Lächeln. Und sie war eine der wenigen Frauen, mit denen ich vorerst keinen Sex haben wollte, aus lauter Angst, zwei Minuten verbaler Unterhaltung einfach wegzufummeln. Also trafen wir uns zum Reden und gingen hoch in mein Zimmer. Ich ließ ihr den Vortritt. Na ja. So übel war ihr Arsch nun auch wieder nicht. Oben angekommen wollte ich mich von ihr anstecken lassen. Sie trug diesen seltsamen Virus im Körper, der sich in Lichtgeschwindigkeit übertragen kann. Eine würzige Mischung aus Euphorie, Naivität und Power. Tina war die Frau, die ich gesucht hatte, seit ich in einem Lied von Udo Lindenberg zum ersten mal von ihr hörte.
"Es gibt Frauen, die ich sehr gerne mag, die trifft man leider nicht jeden Tag. Die sind aktiv und kreativ, die machen reichlich Action, spielen Gitarre in ´ner Band und singen I Can´t Get No Satisfaction."
Ich konnte ihr stundenlang zuhören. Ihr süßes Näschen machte beim Sprechen zarte Tanzbewegungen und weckte längst totgeglaubte Beschützerinstinkte. Ihr selbstbewußtes Auftreten und ihr Charisma ließen jedoch daran zweifeln, daß sie überhaupt einen Beschützer braucht. Die Wildrose, der Stachel, der Schmerz. An meine damalige Freundin wollte ich an diesem Abend nicht denken. Ein schlechtes Zeichen.
In meiner Bude war ich D.J. Sie hatte gehört, daß ich Ahnung von Musik hatte, also sollte ich ihr was vorspielen. Meine Intuition riet mir, es einmal mit Frauenrock zu probieren. Also Heavy-Metal-Balladen, schöne Melodien aus Mode-Musicals, Italo-Geknödel oder dufte Softmusic mit Texten zum Nachdenken und Gutfinden. Ich zog eine Platte aus dem Stapel, setzte den Tonarm auf Lied neun und sprang in Deckung. Kaum, daß Tina von den ersten Klängen aus meiner 5-Watt-HiFi-Anlage gefüttert wurde, lag sie auch schon auf dem Boden. Dort wälzte sie sich von einer Seite zur anderen und schrie immer wieder "ist das schön, mein Gott, ist das schön!"
Ich blieb erstmal cool, denn ich kannte diese Prozedur aus eigener Erfahrung und wußte: So sieht jemand aus, der gerade guten Sex hat.
Ich saß auf meiner kombinierten Sitz- und Schlafcouch und begann, mir zaghaft zwei grundlegende Fragen zu stellen: Wieso erstens jemand bei einem Song von Rainbow so abgeht und wieso ich zweitens überhaupt Platten von Rainbow besaß. Sechs Minuten und dreißig Sekunden später hatte die sportliche Frau sämtliche Ritzen meines Herrenzimmers von unten gesehen und war schwer begeistert. Daß ihre Klamotten inzwischen voller Staub und Tabakkrümel hingen, war ihr in dieser emotionalen Situation völlig egal. Mir nicht. Mir war es peinlich. Wenn sie wieder zu sich kommen würde, mußte sie ja denken, meine Mutter würde mein Zimmer nicht richtig saugen. Also stellte ich erstmal ein paar Sachen klar. Das allerwichtigste war jetzt, daß wir uns unbedingt wiedersehen sollten. Einverstanden. Damit der kulturelle Faden nicht abreißt. Auch einverstanden. Von mir aus auch auf neutralem Boden, zum Beispiel der Mercatorhalle. Gebongt.
In zwei Wochen würde Herman Van Veen in der Stadt sein, ich sollte schonmal zwei Karten für die billigen Plätze besorgen. Gleich am nächsten Tag hatte ich zweimal Empore links, Reihe 14 in der Tasche. Herman kam genau zum richtigen Zeitpunkt. Bei ihm konnte ich mir sicher sein, daß seine zärtlichen Lieder zumindest nicht gegen unsere ....äh...Hochzeit erklingen würden. Wir brauchten gerade jetzt ein Konzert, bei dem man sich auch unterhalten kann und mal ein bißchen nachdenkt über Gefühle, Körperöffnungen und sinnvoller Freizeitgestaltung. Ich war mir sicher, Herman würde unsere Rakete mit einem Pfeil im Arsch direkt zur Venus ballern. Daß sich Tina bei Wohlgefallen während des Konzerts nicht in den Gängen herumfläzt wie bei mir im Zimmer, konnte ich nur hoffen.
Es war ein sonniger Frühlingstag. Tina hatte hatte sich schick gemacht. Sie trug ´ne Flatterbluse und keinen BH. Ihr Stupsnäschen signalisierte leichte Erkältung. März. Eigentlich Paarungszeit, aber das nur mal so am Rande. Jeder hat da seinen eigenen Rhythmus.
Pünktlich zum kalendarischen Frühlingsbeginn in der Hose kam Herman auf die Bühne. Er jonglierte mit einem großen, weißen Ballon, der -glaube ich- unsere Erde darstellen sollte. Fein. Ich kann ohne Übertreibung behaupten, daß er damit ganz schön die Phantasie anregte, da ich mich gerade dabei ertappte, daß sich meine zärtlichen Gefühle so langsam fragten, was Tina wohl für Unterwäsche trägt.
Herman indes hatte ganz andere Sorgen und war gegen Krieg. Das war okay so. Den konnte man also ruhig mal für ein paar Minuten alleine singen lassen, ohne daß er was anstellt. Der konnte sich gut selbst beschäftigen. Ich auch. In meinen Gedanken war ich alte Sau längst im Holunderbusch und riss Tina zärtlich die Kleider vom Leib. Jesusmariajosef, was hatte ich doch für eine blühende Phanatasie! Aber bitte, gerade der Herman wollte das ja auch immer so haben, ich bin unschuldig. Dementsprechend sah dann auch seine Kindersendung aus. Die seltsamen Abenteuer des Herman Van Veen, die wir uns als Ullige gern ansahen, verfehlten ihr pädagogisches Ziel nicht. Ich zum Beispiel: Aus mir ist ein guter Junge geworden, der auch mal gerne mit dem Fahrrad durch den See fährt ("...unsere Mutter kann sich heut das Kochen sparen..."), Angst vor Gespenstern hat und immer noch gerne Kinderbier (Malz) trinkt. Musikalisch allerdings, da bitte ich den leisen Herman um Nachsicht, ist das hier gebotene leider etwas schlapp. Seine gnadenlose Lieblichkeit war streckenweise schockierender als Rottens Johnny.
Also leistete ich mir den Luxus, während meiner Karriere als Kassettenaufnehmer zwischen Rush, ZZ Top, U.K. Subs, Stranglers und Uriah Heep gelegentlich ein paar Van Veen-Nummern einzustreuen, um die Stimmung zu kühlen. Zum Beispiel Hey, kleiner Fratz auf dem Kinderrad, das auch Schulzis Lieblingslied war. Die Sache mit Tina klappte natürlich nicht. Statt auf meinem Boden wälzte die sich inzwischen lieber im Bett von irgendeinem Lulli, eine schöne Scheiße. Passend dazu verließ mich meine Freundin.
Jetzt konnte mir kein Herman mehr helfen. Jetzt war Eigeninitiative angesagt. Zusammen mit Schulzi, mit dem mich ja nun das intellektuelle Band des Kinderrads verband und der in einer ähnlich mißlichen Lage war, was seinen Penisr rum. Dann wurde betrifft, hatte ich einen todsicheren Plan entwickelt: Da uns die Mentalität der Holländer (Fratz / Kinderrad / Rauch) als einigermaßen plausibel erschien, wollten wir uns zwei niederländische Maisjes angeln ("Aber nur aus Venlo - ich bin doch nicht bekloppt und fahr bis Rotterdam!"). Wir waren in Siegerlaune, da sich jeder normale Mensch denken konnte, daß wir als sensible Duisburger bei denen bestimmt ´ne Schnitte haben. Wir stellten uns das so vor: Einmal in der Woche würden wir beide in Schulzis Passat Kombi Automatik zu deren City fahren, wo die beiden Freundinnen schon kichernd auf uns zu warten hätten. Eine super Idee! Und das beste daran: Als lockere Wochenendbeziehung hätten wir mit nix wat am Arsch! Probleme, Ärger und Menstruationsgeschichten dürften die Damen total frei mit sich selbst ausmachen.
Treffpunkt natürlich der Marktplatz, was sonst? Keinen Bock, stundenlang durch irgendwelche Nebenstraßen zu eiern. Ein paar Sätze der Begrüßung und schwupp ab zu denen auf die Bude. Bei einer heißen Golden Earring-Platte dann würde man sich sicher schnell näherkommen und könnte ran an´s Fleisch. Unser Plan sah weiterhin vor, daß wir danach sofort wieder nach Hause abdampfen (Entzugstaktik), derweil die beiden Girls schmachtend auf dem Marktplatz bis zur nächsten Woche zu warten hätten. Noch am selben Abend, an dem die Idee geboren wurde, stiegen wir in´s Auto.
Wir machten uns frisch, drehten ein paar Kippen auf Vorrat und fuhren auf direktem Weg zum Parkplatz von Allkauf. Dort sollte ich Autofahren lernen, damit Schulzi auf der langen Reise zum westlichen Nachbarn auch was trinken konnte. Ich tat meinem Freund den Gefallen und plante die Viertelstunde ein. Natürlich war ich ein guter Schüler. Gleich zu Beginn wollte ich Flagge zeigen und bretterte mit 25 Stuckis über den Parkplatz, die eine Hand am Lenkrad, die andere auf der Armlehne. Sicher manövrierte ich die Karre über gefährliche Fahrbahnmarkierungen und Zigarettenkippen, ohne auch nur einmal auf die Bremse zu treten. Ich war gerade mitten in der Ausbildung, als die Bullen kamen. Sie hatten natürlich nichts besseres zu tun, als uns anzuhalten. Stiegen aus. Kamen näher. Wollten meinen Führerschein sehen. Führten sich auf wie Spießer!
Nun, da ich keinen Lappen hatte und man mich ohne nicht fahren lassen wollte, war die Sache mit Holland erstmal gestorben. Nur in unseren Träumen konnten wir frei sein und Zöllner veräppeln ("Was habt Ihr denn da im Arsch? Ist das Salami?"). Nur auf unseren wilden Kassetten konnten wir mit Hermans Hilfe feiern, fummeln und ficken. Das war kein Zustand auf Dauer.
Wir beschlossen, wieder ins Feld zu gehen und nahmen Gouda, Rotwein und Lothar mit. Dort schlossen wir feierlich unsere intellektuelle Phase ab. Aus Dichtern und Denkern wurden wieder anständige Menschen. So anständig, daß sie -wie Schulzi- inzwischen selber Vater sind. Ich persönlich hege da keine Ambitionen. Wie auch, wenn einen die Olle nicht ranläßt? Aber wenn ich Blagen hätte, nur mal rein theoretisch, wären Die seltsamen Abenteuer des Herman Van Veen wohl Haupterziehungsmittel. Weil da ein Sänger möchte, daß man darüber nachdenkt. Über Sand, Sand, Sand, über Eile, über Einkaufszettel. Und darüber, daß Van Veen-Stücke auch heute noch einen sehr gescheiten Eindruck verbreiten, wenn man sie zwischen Lard und Motörhead hört.

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